© 2015 Reiner Wandler

Der erste Schritt hin zum Wandel

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„Ja, man kann!“ skandierten die Menschen im Theater Salvador Távora de Schlachtruf der Anti-Austeritätspartei Podemos („Wir können“), als Spitzenkandidatin Teresa Rodríguez nach 22 Uhr den Saal betrat. Die 33-jährige Lehrerin aus dem andalusischen Rota ist die unumstrittene Siegerin der Regionalwahlen im südspanischen Andalusien. 14,8 Prozent und 15 der 109 Sitze im Autonomieparlament holte die vor etwas mehr als einem Jahr entstandene neue Formation des spanische Politstars und Politikprofessors Pablo Iglesias. 600.000 Andalusier schenkten Podemos ihr Vertrauen, drei mal soviel wie bei den Europawahlen im Mai 2014, als die Protestpartei erstmals von sich Reden machte. Podemos zieht damit erstmals in eine spanische Volksvertretung ein.

Mit Ciudadanos (Bürger), einer konservativen Formation, die bisher nur im nordostspanischen Katalonien agierte, sitzt künftig eine weitere neue Kraft im Parlament in Sevilla. Ciudadanos erzielte 9,4 Prozent (9 Sitze).

Die drei bisher schon im Parlament der bevölkerungsreichsten Region Spaniens vertretenen Parteien mussten alle Stimmenverluste hinnehmen. Am schlimmsten traf es die in Madrid regierende konservative Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy. Sie verlor eine halbe Million Stimmen und liegt bei 26,7 Prozent, 14 Prozentpunkte weniger als 2012. Die Wähler straften die Konservativen für die unsoziale Sparpolitik der Regierung in Madrid ab. Künftig werden sie mit nur 33 statt bisher 50 Abgeordnete vertreten sein. Es ist das schlechteste Ergebnis in den letzten 25 Jahren.

Die postkommunistische Vereinigte Linke (IU) verlor mehr als die Hälfte ihrer Abgeordneten und erzielte nur noch 5 Vertreter (7 Prozent). Der Aderlass ging eindeutig in Richtung Podemos. IU hatte in der vergangenen Legislatur an einer Koalition mit den seit 33 Jahren in Andalusien regierenden Sozialisten unter Susana Díaz teilgenommen.

Für Díaz und ihre PSOE gingen die Wahlen glimpflich aus. Sie hatte den Urnengang vorgezogen, um einem weiteren Anstieg von Podemos zuvorzukommen. Die Rechnung ging auf. Zwar verloren die Sozialisten mehr als 119.000 Stimmen bei über drei Prozent mehr Wahlbeteiligung, und erzielte 35,4 Prozent statt den bisherigen 39,6 Prozent. Doch werden sie künftig, wie auch bisher mit 47 Abgeordnete im Regionalparlament vertreten sein. Das spanische, nicht proportionale Wahlgesetz macht solche paradoxen Ergebnisse möglich. Díaz sprach in der Wahlnacht von „einem historischen Sieg“ für ihre von Korruption geplagte andalusischen Regierung.

Díaz fehlen nur acht Abgeordnete zur absoluten Mehrheit. Da die Sozialistin von vornherein einen Pakt mit PP oder Podemos ausschloss, wird sie wohl auf Ciudadanos zugehen. Diese wurde vom Medienimperium PRISA rund um die meistgelesene spanische Tageszeitung El País und das meistgehörte Radio Cadena Ser systematisch gepuscht, mit dem Ziel für die Sozialisten einen Koalitionspartner zu schaffen.

„Die politische Landschaft in Andalusien und Spanien hat sich verändert. Das ist keine Einzelaufnahme, es ist nur eine Szene des Wandels“, analysierte Teresa Rodríguez von Podemos das Wahlergebnis. Die beiden großen Parteien haben zusammen weit über 600.000 Stimmen verloren. Das Zweiparteiensystem steckt seit den Europawahlen in einer tiefen Krise und scheint sich nicht zu erholen. Trotz des guten Ergebnisses kam bei der Wahlparty keine überschwängliche Feierlaune auf. Denn Podemos hatte auf vier bis fünf Parlamentssitze mehr gehofft, um so mit viel Schwung in das Superwahljahr 2015 zu gehen.

Bereits Ende Mai werden spanienweit Gemeinderatswahlen abgehalten; in 13 weiteren Autonomien finden Regionalwahlen statt; und Ende des Jahres stehen dann Parlamentswahlen an. Nach dem Ergebnis in Andalusien sieht alles danach aus, als könnte die PP von Regierungschef Rajoy flächendeckend Rathäuser, Regionalregierungen sowie die Mehrheit im spanischen Parlament verlieren.

Für Podemos beginnt nun die tägliche Parlamentsarbeit, um zu beweisen, dass die neue Partei mehr kann, als protestieren. „Wahrscheinlich können wir nicht verhindern, dass auch morgen wieder 45 Familien in Andalusien zwangsgeräumt werden, aber es wird nie wieder geheime Absprachen im Parlament geben“, erklärte Rodríguez und versprach Gesetzesinitiativen gegen genau diese Zwangsräumungen sowie für eine garantierte Grundversorgung mit Strom und Wasser für arme Familien.

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Meine Meinung

Süsssaurer Erfolg

Spaniens Zweiparteiensystem zeigt mehr Widerstand, als viele bei Podemos erwarteten. Zwar verloren im andalusischen Testlauf des Superwahljahres 2015 die beiden großen Parteien, die im spanischen Süden regierende, sozialistische PSOE und die konservative Partido Popular (PP) des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy zusammen über 600.000 Stimmen, doch können die Sozialisten in Andalusien auch weiterhin regieren.

Von 0 auf 15 Prozent ist für ein Debüt wie das von Podemos weit mehr als ein Achtungserfolg. Aber das Momentum, das sich die Protestpartei von Andalusien erhoffte und die Umfragen vorhersagten wird es nicht bringen. Statt feiern steht wohl Analyse auf dem Programm bei der Parteispitze rund um Politikprofessor Pablo Iglesias.

Die Angst vor Podemos, sei der Grund für das überraschend gute Abschneiden für die völlig korrupte PSOE der andalusischen Regierungschefin Susana Díaz, zitiert die Presse Stimmen aus der PSOE-Zentrale. Dies trifft es auf den Punkt.

Seit Ende Januar, als Podemos 300.000 Menschen zu einem „Marsch für Veränderung“ nach Madrid mobilisierte, haben sich PP, PSOE und die gesamte Presse auf die neue Kraft eingeschossen, um genau diese Angst zu schüren und den Status Quo zu verteidigen. Hat ein führendes Mitglied vergessen, einen Antrag an der Uni von zu Hause aus zu forschen, statt schriftlich nur mündlich eingereicht, dient dies für der Vetterleswirtschaft. Hohe Einkünfte anderer aus Beratertätigkeiten für Länder, wie Venezuela oder Bolivien werden zum Thema in Talkshows und Titelseiten, um zu behaupten, Podemos sei eine „radikale, boliviarianische, antidemokratische“ und „vom Ausland finanzierte Kraft“, auch wenn kein einziger Euro dieser Honorare in die Parteikasse floss. Der Tenor: „Schaut her, die sind so korrupt wie wir.“

Die Kampagne schädigte das Image von Podemos als „saubere Partei“. Zwar wurde der Verfall des Zweiparteiensystems nur verlangsamt und nicht gestoppt. Doch so mancher, der vor zwei Monaten noch Podemos gewählt hätte, blieb voller Zweifel zu Hause oder machte völlig verunsichert bei Althergebrachtem sein Kreuz.

Was bisher geschah: