© 2016 Reiner Wandler

Hexenjagd in Spanien

Anwälte, ein Richterverband und selbst Amnesty International (AI) schlagen Alarm. In Spanien häufen sich die Fälle, in denen Künstler gerichtlich verfolgt werden. Puppenspieler werden für ihre Satire der „Verherrlichung des Terrorismus“ beschuldigt, ein Hip Hoper soll aus dem gleichen Grund für 20 Monate hinter Gitter, weil er im Twitter scherzte und ein Aktionskünstler wird der „Verletzung religiöser Gefühle“ beschuldigt, weil er gegen die Amtskirche protestierte.

„Laut internationalem Verständnis der Menschenrechte, könnte es sich um eine willkürliche Verhaftung handeln“, heisst es in einem Kommuniqué der spanischen Sektion von AI. Die Menschenrechtsorganisation ist empört über den jüngsten und wohl bekanntesten Fall der Repressionswelle gegen unliebsame Künstler. Am Fastnachtsfreitag wurden in Madrid zwei Puppenspieler mitten in der Aufführung festgenommen und mit dem Antiterrorgesetz in der Hand fünf Tage in Untersuchungshaft gehalten. Ihr satirisches Stück „Die Hexe und Herr Cristóbal“ kritisiert Hausbesitzer, Richter und die Polizei. Am Ende schiebt ein Polizist der Hexe ein Transparent unter, auf dem „Hoch lebe Alka-ETA“ zu lesen steht, um sie als Terroristin beschuldigen zu können.

Die „Puppenspieler von unten“ – so der Namen der Truppe – übten damit Kritik an der Benutzung des Themas Terrorismus durch Spaniens Konservative. Wer gegen Sparpolitik demonstriert wird von führenden Politikern der regierenden Partido Popular (PP) gerne als ETA-Freund beschimpft; die Anti-Austeritätspartei Podemos wird oft in diese Ecke gerückt. Als am 11. März 2004 Bomben in Nahverkehrszügen von Madrid explodieren, wurde der islamistische Anschlag von dem damaligen PP-Premier José María Aznar wider besseren Wissens als ETA-Anschlag verkauft, in einem verzweifelten Versuch damit Kapital aus der Tragödie bei den wenige Tage später stattfindenden Wahlen zu schlagen.

Eben diese Szene sei „Verherrlichung des Terrorismus“, erklärt der zuständige Ermittlungsrichter jetzt. Die rechte Presse greift den Fall auf, um gegen die Madrider Bürgermeisterin Manuela Carmena vom Bürgerbündnis „Ahora Madrid“ und einen mögliche Beteiligung von Podemos an der spanischen Regierung, die die Konservativen ablösen würde, Stimmung zu machen.

„Es ist mehr als fragwürdig, ob hier ein Rechtsvergehen vorliegt“, erklärt Joaquim Bosch, Sprecher des einflussreichen Verbandes „Richter für Demokratie“. Nicht nur der Richterverband kritisiert die Strafrechtsreform aus dem Jahre 2015, die auf den „Pakt gegen den Dschihadismus“ der beiden großen Parteien PP und der sozialistischen PSOE zurückgeht. „Das Gesetz enthält eine so offene und weite Definition dessen, was Terrorismus ist, das es die Meinungsfreiheit einschränkt“, urteilt AI.

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César Strawberry, Sänger von Def con Dos.

„Es ist verrückt. ETA hat vor über vier Jahren die Waffen niedergelegt. Doch werden mittlerweile mehr Menschen wegen ‚Verherrlichung des Terrorismus‘ verfolgt, denn je“, beschwert sich auch César Strawberry. Der 52-jährige Chef der bekanntesten spanischen Hip-Hop-Band „Def con Dos“ weiss von was er spricht. Die Staatsanwalt fordert gegen den Sänger 20 Monate Haft, 8 Jahre Aberkennung der Rechte auf Ausführung eines öffentlichen Amtes und zwei Jahre richterliche Überwachung. Die der Regierung unterstellte Strafbehörde hält damit ein Verfahren am Laufen, dass vom Ermittlungsrichter mangels Indizien für eine Straftat längst eingestellt worden war.

Strawberry hatte sich bei Twitter auf seine sarkastische Art ausgelassen. Als ein bekanntes ETA-Entführungsopfer eine rechtsradikale Partei gründete, kommentierte der Sänger: „Jetzt müsste man ihn entführen.“ In einer anderen Kurznachricht zählte er eine Reihe von Namen bekannter, spanischer Faschisten auf, die alle im hohen Alter verstarben, und schrieb: „Wenn du ihnen nicht das gibst, was Carrero Blanco zu Teil wurde, ist die Langlebigkeit immer auf ihrer Seite.“ Admiral Carrero Blanco, die rechte Hand des Diktators Franco, wurde 1973 von ETA auf dem Weg zur Messe in die Luft gesprengt. Das Regime verlor den Nachfolger für den alten Diktator. Der Weg zur Demokratie wurde dadurch beschleunigt.

Doch nicht nur wer mit dem Terror Satire betreibt lebt gefährlich. Auch die Religion ist eine rote Linie. Das musste Aktionskünstler Abel Azcona erfahren. Er hatte bei Messebesuchen 242 geweihte Hostien gesammelt und mit ihnen auf einer Ausstellung in Pamplona des Wort „Päderastie“ gelegt. Jetzt wird gegen ihn wegen „Verletzung religiöser Gefühle“ ermittelt.

„Es geht darum Angst zu verbreiten“, ist sich Strawberry sicher. Er selbst wurde fünf Tage vor den Kommunalwahlen vergangenen Mai in einer groß angelegten Polizeioperation verhaftet, das Smartphone beschlagnahmt. Die PP verlor bei den Wahlen mehrere Großstädte an Podemos-nahe Bürgerbündnisse, darunter Strawberry‘s Heimatstadt Madrid.

Der Innenminister verfolge gezielt Künstler, die den politischen Wandel unterstützt, fügt Strawberry hinzu und erinnert daran, wer Minister Fernandez Díaz ist. Der Konservative ist ultrareligiös, gehört zum katholischen Geheimbund Opus Dei, hat nach eigenen Angaben einen Schutzengel Marcelo, der ihn bei schwierigen Entscheidungen berate und verlieh den Verdienstorden an die „Heilige Mutter Gottes der Liebe“ für ihre Zusammenarbeit mit der Polizei.

Was bisher geschah: