© 2016 Reiner Wandler

Der Reichtum versiegt

Des einen Freud des anderen Leid. Der niedrige Ölpreis kurbelt den Konsum in den westlichen Ländern an. Doch die Produzentenländer haben es schwer. Algerien ist eines davon. Die fallende Öl- und Gaspreise lassen die Einkünfte des nordafrikanischen Landes stürzen. Mittlerweile pendelt der Preis pro Barrel zwischen 30 und 40 Dollar. Algier rechnete mit über 100 bis 110 Dollar. Die Kassen sind zunehmend leerer.

Mehr als 97 Prozent der algerischen Exporte entfallen auf Erdöl und Erdgas. 60 Prozent des Staatshaushaltes werden mit den Einkünften aus dem Öl- und Gasexport gedeckt. Die wichtigsten Haushaltsposten sind Subventionen von Grundnahrungsmitteln und Energie (23 Prozent des BIP), sozialer Wohnungsbau und die Löhne der Bediensteten in öffentlichen und staatlichen Unternehmen sowie Beamten. Der Staat beschäftigt direkt oder indirekt 60 Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt offiziell bei 25 Prozent. Viele sehen keine Zukunft und haben nur einen Wunsch hat: Auswandern.

Seit 2013 ist der Preis für Erdöl um 72 Prozent und der für Erdgas um 53 Prozent gesunken. Schuld daran ist ein weltweites Überangebot. Das wichtigste OPEC-Land Saudi Arabien pumpt was das Zeug hält, um das Öl, das in den USA mittels Fracking gefördert, wird, aus dem Markt zu kicken. Saudi Arabien setzt dabei auf einen Wettbewerbsvorteil. Nur wenige Länder fördern das Öl so leicht und damit so billig wie die Wüstenmonarchie. Fracking ist erheblich teurer.

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Angst vor Unruhen

Algerien traut sich bisher nicht an Sozialkürzungen heran. Die Angst vor soziale Konflikte sitzt tief. Erinnerungen an den letzten Preisverfall in den 1980ern kommen auf. Damals brach nach einer Revolte der großstädtischen Jugend das Einparteiensystem zusammen; die Islamisten stiegen in der Gunst der Wähler. 1992 putschte das Militär nach einem Wahlsieg der Religiösen. Das Land versank im „dunkeln Jahrzehnt“ mit 200.000 Toten.

„Wenn der Preisverfall länger anhält, ist das besorgniserregend“, gesteht die Regierung ein. Bisher nimmt Algier ein zunehmend steigendes Haushaltsdefizit in Kauf. Es geht ans Eingemachte. Die Rücklagen werden aufgebraucht. Bereits in zwei bis drei Jahren könnte die Staatskasse leer sein, so befürchten Wirtschaftsexperten.

Viel ist vom Ausbau der Landwirtschaft und der Industrie die Rede. Importe sollen dadurch überflüssig gemacht werden. Doch seit den 1970ern, als die erst ein Jahrzehnt unabhängige ehemalige französische Kolonie tatsächlich versuchte mittels Petrodollars eine eigenen Industrie aufzubauen, ist nur wenig geschehen. Viele Betriebe schlossen. Die Industrie macht nur noch fünf Prozent des BIPs aus. Selbst Orangen werden mittlerweile eingeführt, um von Konsumgütern aller Art ganz zu schweigen.

Die Regierung in Algier versucht zaghaft gegenzusteuern. Der Dinar wurde abgewertet, die Mehrwertsteuern auf viele Produkte, die nicht zum täglichen Bedarf gehören von 7 auf 17 Prozent angehoben, Alkohol, Tabaksteuer und die Abgaben auf Kosmetikartikel gar um 40 und 60 Prozent, PKWs werden mit Einfuhrzöllen belegt, die KFZ-Steuer stieg zum Jahresbeginn ebenso, wie der Benzin- und Strompreis. Zum einen sollen damit zusätzliche Einnahmen für die Staatskasse erzeugt werden, zum anderen des Aussenhandelsdefizit durch weniger Konsum importierter Güter verringert werden.

Bei wichtigen Infrastrukturprojekte, wie der Ausbau der Strassenbahn in Algier und anderen Großstädten oder der 1000 Kilometer langen Ost-West-Autobahn ist die Finanzierung nicht mehr gesichert. Bauabschnitte werden aufgeschoben.

Algerien übt diplomatischen Druck auf Saudi Arabien aus, um zu erreichen, dass die OPEC wieder zu festen Fördermengen zurückkehrt, damit der Preis steigt. Diese Woche kam es tatsächlich zu einer ersten Einigung zwischen Saudi Arabien und dem nicht der OPEC angehörenden Russland. Die Fördermengen sollen auf dem aktuellen Niveau stabilisiert werden. Von Einschränkungen ist nicht die Rede. Damit dürfte der Preis kaum anziehen. Analytiker der Bank Goldman Sachs prophezeien gar einen Preis von unter 20 Dollar für das Ende dieses Jahrzehntes. Dann würde Algerien nicht einmal mehr die Kosten für die Förderung von 20,40 Dollar pro Barrel decken.

Was bisher geschah: