Lateinamerika wehrt sich seit der Jahrtausendwende gegen neoliberale Rezepte. In Ländern wie Venezuela, Ecuador und Bolivien führte dies zu breiten Bewegungen, die letztendlich das politische Panorama und die Realität der betroffenen Länder radikal änderten. Fabian Unterberger untersucht in seiner jetzt in Buchform veröffentlichten Diplomarbeit „Demokratie in Bewegung – Lateinamerikanische Verfassungsprojekte, Spaniens Krise und die Partei Podemos“ den sogenannten „nuevo constitucionalismo“ (Neue Verfassungsbewegung) und desen Auswirkung auf die Empörten, die sozialen Bewegungen und die junge Anti-Austeritätspartei Podemos in Spanien. Kernstück seiner Arbeit sind Interviews mit zahlreichen spanischen Aktivisten, deren Diskurs er analysiert und erstaunlich viele Gemeinsamkeiten mit dem der lateinamerikanischen Bewegungen findet.
Der Autor ordnet all das in eine ausführliche Analyse der Entwicklung in Lateinamerika und in Spanien seit dem Beginn der Wirtschaftskrise im Jahr 2007 und vor allem seit der Entstehung der Bewegung der Empörten – dem 15M – am 15. Mai 2011 – ein. Unterberger schöpft dabei aus eigenen Anschauungen, die er in längeren Aufenthalten beiderseits des Atlantik gewann.
„Während die Krise des Neoliberalismus in Europa gerade erst deutlich spürbar wird, gilt der Neoliberalismus in Teilen Lateinamerikas bereits als überwunden“, schreibt Unterberger. „Ihren Ausdruck fanden diese Projekte in neuen demokratischen Verfassungen.“ Mehr als ein Grundgesetz herkömmlicher Art sind es „Transformationsprogramme“. Sie entstanden in einem breiten basisdemokratischen Prozess. Seit der Unabhängigkeit marginalisierte Bevölkerungsgruppen, wie etwa die Indigenen, trugen erstmals ihren Teil zur neuen politischen Realität bei. In den neuen Verfassungen wird basisdemokratischen Strukturen und sozialen Rechten breiter Raum eingeräumt.
„Ein derartiges Beispiel lässt auch AktivistInnen in Europa nicht unbeeindruckt. Auf der Suche nach erfolgversprechende Strategien, (…) richten spanische soziale Bewegungen ihren Blick zunehmend über den Atlantik. Auch hier ist mittlerweile der Ruf nach einer verfassungsgebenden Versammlung vernehmbar.“
Wie es dazu kam, untersucht Unterberger anhand einer ausführlichen Darstellung der jüngsten spanischen Geschichte. Es entsteht das Bild eines Landes, in dem sich die Krise längst von einer wirtschaftlichen zu einer institutionellen ausgewachsen hat. „Sie vertreten uns nicht!“ und „Diese Krise bezahlen wir nicht!“ lautete das Motto der Empörten 2011, als überall im Land Plätze besetzt wurden. Der Unmut bündelt sich in der Forderung nach „Echter Demokratie – Jetzt!“ und damit nach einer neuen gesellschaftlichen Ordnung, nach einer verfassungsgebenden Versammlung um das Nach-Franco-Regime zu überwinden.
Mit der vor ein einhalb Jahren entstandenen Partei Podemos nimmt für Unterberger „der Demonstrationseffekt, den der nuevo constitucionalismo auf spanische soziale Bewegungen und Linke hat, eine konkrete Form an.“ Podemos möchte den bisherigen Kräften die Macht streitig machen, um dann – wie in Lateinamerika geschehen – von oben und von der Basis zugleich die soziale Realität und die Verfasstheit Spaniens zu ändern.
Obwohl es sich um eine wissenschaftliche Abhandlung handelt, hat es Unterberger verstanden, ein gut lesbares Buch zu schreiben. „Demokratie in Bewegung“ sei all denen empfohlen, die die komplexen Entwicklungen im Spanien der 2010er Jahren und deren Hintergründe besser verstehen wollen.
Fabian Unterberger
DEMOKRATIE IN BEWEGUNG
Lateinamerikanische Verfassungsprojekte, Spaniens Krise und die Partei Podemos
ISBN 978-3-85371-399-0, 208 Seiten, 20,00 Euro
Edition Kritische Forschung
Promedia Verlag, Wien 2015