© 2015 Reiner Wandler

Alle wollen Podemos sein

 

„Wandel“ heisst das Zauberwort in Spanien. Es ist das Motto der im Januar 2014 entstandenen Protestpartei Podemos. Auf Anhieb erzielte die Kraft, die im Umfeld der sogenannten Bewegung Empörten entstand, 8 Prozent bei den Europawahlen im Mai des gleichen Jahres. „Wandel“ hiess das Motto, denn das ist, was viele Spanier wollen. Zu stark leiden sie unter Arbeitslosigkeit Sparpolitik und Bankenrettung. Zu empört sind sie über ein ungerechtes Wahlsystem, das die beiden großen Parteien, die konservative Partido Popular (PP) und die sozialistische PSOE bevorteilt. Und sie sind die Korruption leid, die in den Jahren des Baubooms das ganze Land erfasste.

Als „Freakies“, „Populisten“und „radikale Kommunisten“, ja als Schüler des venzuelanischen Präsidenten Chaves beschimpfte das Establishment die neue Kraft rund um eine Clique von Soziologen und Politologen rund unter Führung des mittlerweile 37-jährigen Pablo Iglesias. Es hilft nichts. Podemos ist und bleibt beliebt und mischt das bisherige Parteienspektrum weiterhin auf.

Gute Rat war teuer. Bis die Marketingspezialisten eine vermeintliche Lösung fanden. Sie kopieren Podemos. Alle Parteien schicken plötzlich junge Politiker in die Talkshows. Die Krawatte bleibt zu Hause, Jeans ersetzt den edlen Stoff, und die Hemdsärmel werden hochgekrempelt. Die Ästhetik von Pablo Iglesias macht Schule.

Die konservative PP änderte eiligst ihr Parteilogo. War es einst quadratisch, ist es jetzt ein Kreis, so wie das von Podemos. Meetings und Treffen auf öffentlichen Plätzen ersetzen noble Veranstaltungen in teuren Sälen, ganz so wie einst 2011, als die Empörten die Plätze in Spanien okkupierten, die Politik ins öffentliche Leben trugen.

Und alle Reden – wie könnte es anders sein – vom „Wandel“. Die PP wandelt das Land mit ihrer Wirtschaftspolitik, die makroökonomische Erfolge feiert, ohne dass die Armut oder die Arbeitslosigkeit zurückginge. Ganz im Gegenteil, die Schere zwischen arm und reich geht immer weiter auf. Noch nie gab es in Spanien so viele Millionäre wie heute, sieben Jahre nach Beginn der Krise.

Die Sozialisten rund um den mehr einem Modell als einem herkömmlichen Politiker ähnelnden Pedro Sánchez hat dem „Wandel“ einen Nachnamen verpasst. „Der Wandel der eint“ prangt es von Pamphleten und Plakaten. Es nutzt bisher wenig, denn die Wähler kehren der alt ehrwürdigen Partei den Rücken. Die PSOE begann mit der Sparpolitik und schrieb im Sommer 2011 im Eilverfahren und auf Druck aus Berlin einen Paragraphen in die Verfassung, der Schuldenzahlungen Vorrang vor Sozialausgaben gibt. Vielen Sozialisten gefällt dies nicht. Sie schauen in Richtung Podemos, und das trotz Videos, in denen – ganz im Stile der Partei von Pablo Iglesias – einfache Leute mit ihren Nöten und Sorgen zu Wort kommen. „Wir wollen einen Wandel. Wir setzen auf Pedro“ sagen sie brav.

Spricht Pablo Iglesias von einem gesetzlichen Grundeinkommen, vertritt Sánchez dies plötzlich auch, als wäre es seine Idee gewesen. Das gleich gilt für Steuerreformen, Kampf gegen Zwangsräumungen schuldiger Wohnungseigner, Demokratiereform.

Doch die beste Operation wurde in Bankenkreisen ausgeheckt. Es war der Direktor der einflussreichen katalanischen Bank Sabadell, Josep Oliu, der als erster auf einem Wirtschaftsforum vergangenen Juni aussprach, was viele spanische Großunternehmer bewegte: “Podemos erschreckt uns ein bisschen, aber eine rechte Podemos, die das Private und die Entwicklung des Landes im Blick hat, wäre nicht schlecht.” Die beiden großen Parteien – die regierende Volkspartei PP und die sozialistische PSOE – seien längst nicht mehr “der Ausdruck dessen, was die Unternehmer brauchen”, fügte er hinzu. Gesagt getan. Die Wahl viel auf eine kleine, zehn Jahre alte Partei aus Katalonien. Ciudadanos – die Bürger – rund um den jungen smarten 35-jährigen Albert Rivera.

Aus der Kraft, die sich bei Gründung hauptsächlich den Kampf gegen die katalanischen Nationalisten auf die Fahne geschrieben hat, wurde plötzlich die Partei des „besonnen Wandels.“ Egal was bei Podemos an Ideen entsteht. Rivera betet es nach und vermischt es mit seinem eigenen, eher rechtsliberalen Programm. Die KandidatInnen sind alle jung und sehen aus, als wären sie einem Casting für Parfüm- und Rassierwasserwerbung entsprungen.

Die Presse unterstützt Ciudadanos und attackiert Podemos. Nicht von ungefähr. Denn Rivera Partei redet viel vom „Wandel“ sorgt aber in so manchem Rathaus und in einigen Regionen dafür, dass alles bleibt, wie es war. In Andalusien, wo seit Jahrzehnten die Sozialisten regieren, hat die PSOE trotz Verlusten bei den vergangenen Regionalwahlen weiterhin die Mehrheit, dank der Stimmen der Abgeordneten von Ciudadanos. Und Madrid bietet das gleiche Bild. Nur dort eben mit der konservativen PP, dem Herzen der Korruption in Spanien. Erneurung, Großreinemachen, Fehlanzeige.

„Original oder Kopie? Du entscheidest!“ heisst das Motto einer der Kampagnen von Podemos im Vorwahlkampf für die spanischen Parlamentswahlen am 20. Dezember. Wen wundert es?

Was bisher geschah: