© 2015 Reiner Wandler

Der Plasma-Premier

merkel_rajoy So sehen es die Internauten auf Twitter.

Spanien geht neue Wege. Erstmals seit dem Ende der Diktatur 1975 wählen die Bürger am 20. Dezember ein Parlament, das nicht mehr von zwei großen Parteien bestimmt werden wird. Die vor knapp zwei Jahren entstandene Anti-Austeritätspartei Podemos und die rechtliberalen Ciudadanos machen der konservativen Regierungspartei Partido Popular (PP) und der sozialistischen PSOE die Vorherrschaft streitig. Ihr Rezept: Präsenz in den soziale Netzwerke und in den Talkshows, die seit 2011, als die „Empörten“ überall im Lande Plätze besetzten, auf den meisten Kanälen die Herz-Schmerz-Shows zur samstäglichen Primetime abgelöst haben.

Auch jetzt im Wahlkampf wird debattiert, was das Zeug hält. Erstmals veranstaltete eine öffentliche Universität in Madrid eine Kandidatendebatte ganz im us-amerikanischen Stile. Und die größte Tageszeitung des Landes, die El País, versuchte sich an einer online-Debatte, verkaufte die gestreamten Bilder an Agenturen, webs und einen Privatsender. Mit Erfolg. Jeder vierte Spanier hat zumindest Ausschnitte daraus gesehen.

Nur einer macht nicht mit: Premier Mariano Rajoy. Er scheut schwierige Interviews und weigert sich, mit den neuen Politikern, dem Podemos-Chef und Universitätsprofessor Pablo Iglesias und dem Anwalt und Ciudadanos-Spitzenkandidaten Albert Rivera zu diskutieren. Auf der Bühne bei El País stand demonstrativ ein leeres Pult. Rajoy weiss warum er sich versteckt: Seine Popularität liegt danieder. Nach vier Jahren harter Sparpolitik prophezeien ihm die Umfragen Verluste von mehr als einem Drittel seiner Wählerschaft. In der Auseinandersetzung mit den Neuen hat er wenig zu gewinnen aber noch mehr zu verlieren, so die Analyse des PP-Wahlkampfteams.

Die Opposition redet vom „Betrug an den Wählern“ und von „Feigheit“. Doch den Premier berührt das nicht. Kein Kandidat habe in der Vergangenheit „so oft debattiert, wie ich“, hält er entgegen und nimmt nur eine Einladung an, die zum Duell mit den sozialistischen Spitzenkandidat, Pedro Sánchez: „So sehen wichtige Debatten bei Wahlen aus“, beteuert Rajoy. Das ganze hat nur einen Schönheitsfehler. Auch Sánchez befindet sich im freien Fall und dürfte nur knapp über 20 Prozent kommen, das schlechteste Ergebnis, dass die PSOE jemals eingefahren hat.

Rajoy umging in seinen vier Jahren als Regierungschef die Presse, wann immer es irgend möglich war. Er verschwand durch Hinterausgänge oder bediente sich eines zu trauriger Berühmtheit gelangten Plasmafernsehers. Dieser wurde 2012 im Presseraum der PP-Zentrale in Madrid installiert, als Kassenwart Luis Bárcenas wegen systematischer illegaler Parteienfinanzierung verhaftet worden war. Seine Buchführung über Schwarzgelder belegten, dass wichtige Parteifunktionäre – darunter auch Rajoy selbst – regelmässig Umschläge mit Bargeld zugesteckt bekommen haben . Statt der Presse – und damit den Bürgern – Rede und Antwort zu stehen, hielt Rajoy eine kurze Ansprache über eben jenen Plasmafernseher. Nur wenige Monate später wiederholte sich die Szene nach einer Steuerreform.

Rajoy stehe mit seiner Entscheidung sich rar zu machen für die alte Politik, urteilte so mancher Kommentator. „Ich kann nicht alle Termine wahrnehmen, unter anderem, weil ich Regierungschef bin“, verweist der Premier auf seinem Terminkalender und trat dennoch zeitgleich zur El-País-Debatte in einem ihm wohlgesonnenen Privatsender in den Abendnachrichten auf. Zur einzige Vierer-Debatte im Fernsehen vergangenen Monatag schickte Rajoy seine Vizeregierungspräsidentin Soraya Sáenz de Santamaía, während er auf Kurzulraub in Südspanien weilte. Wenige vor Beginn des Wahlkampfes hatte der PP-Chef eine der wenigen Lücken für die Presse im Terminkalender gefunden. Rajoy agierte als Co-Kommentator bei einem Championsleague-Spiel von Real Madrid im Radiosender der spanischen Bischofskonferenz, Cope. „Bale ist auf der Linken gefährlicher als Pablo Iglesias“, lautete eine der Perlen.

70 Prozent der Spanier kritisieren Rajoy in Umfragen für das Versteckspiel, darunter jeder vierte PP-Wähler. Es ist eine gefährliche Taktik: Denn nur zwei Wochen vor dem Urnengang haben 41 Prozent der Wähler noch immer nicht entschieden, wem sie ihre Stimmen geben sollen. Unter den Nutzern von Twitter sind es laut einer Umfrage der Betreiber ein Drittel. Und das bei einem Publikum, dass sich überdurchschnittlich für Politik interessiert. Zumindest in diesem Netzwerken hängt Podemos-Kandidat Pablo Iglesias, der siegreich aus den Debatten bei El País und im Fernsehen hervorging, alle ab. Ihm folgen mehr als 1,3 Millionen. Rajoy kommt gerade einmal auf eine Million, Rivera auf 400.000 und Sánchez auf 211.000.

Was bisher geschah: