© 2014 Reiner Wandler

Wer will, der kann

„Populisten, wie Le Pen“, „orthodoxe, veraltete Kommunisten“, „Bolivarianos“, „Freaks“, „vergleichbar mit Hitler“ oder „Kleinbürger“ … wenn es um Podemos und um deren Wortführer, dem aus zahlreichen Talkshows bekannten, Politikprofessor Pablo Iglesias geht, fallen alles andere als freundliche Worte. Die Partei oder besser Bewegung, deren Namen „Wir können“ bedeutet, ist die große Überraschung der Europawahlen am vergangenen Sonntag in Spanien. Podemos kanalisierte einen Teil der „Empörten“ und holte nur vier Monate nach Gründung aus dem Stand 1,2 Millionen Stimmen (7,97 Prozent) und damit fünf Sitze in Straßburg.

Podemos liegt damit nur knapp hinter der Vereinigten Linken (IU) rund um Spaniens altehrwürdige Kommunistische Partei. In mehreren Provinzen, darunter Madrid, überholte Podemos die alte Linke gar und ist damit die drittstärkste Kraft hinter der regierenden konservativen Partido Popular (PP) von Mariano Rajoy und der sozialistischen PSOE. Die beiden Großen erhielten zusammen weniger als 50 Prozent der Stimmen, mehr als ein Drittel weniger als 2009. „Sie vertreten uns nicht“, heißt eine der Parolen die seit der Entstehung der Bewegung der Empörten am 15. Mai 2011 auf keiner Demonstration fehlen dürfen. Das Ergebniss der Europawahlen und der Erfolg von Podemos scheint der Anfang einer tiefen Umwälzungen zu sein.

Das Projekt Podemos ist von Anfang an gut durchdacht. Der Name geht auf den Ruf der us-amerikanischen Hispanobewegung zurück. Ihr „Sí, se puede!“ – „Ja, man kann!“ – wurde nicht nur zum „Yes, we can!“ Barack Obamas, es wurde auch zum Motto der spanischen Bewegung gegen Zwangsräumungen von Familien, die ihre Wohnungskredite nicht mehr abbezahlen können. Die Gründergruppe von Podemos griff dies aus.

Die Idee zur neuen Partei entstand an der Politikfakultät der Universität Complutense in Madrid. Dort unterrichtet der harte Kern der Podemos-Gründer, rund um Pablo Iglesias. Der 35-jährige Doktor der Politik und Sohn einer Gewerkschafterin aus einem Arbeiterviertel der Hauptstadt hat in Spanien, Italien, Mexiko, der Schweiz und den USA studiert. Sein politischer Werdegang führte ihn durch zahlreiche studentische Bewegungen, die „Kommunistische Jugend“, sowie die „Jugend ohne Zukunft“, eine der Vorgängerbewegungen dessen, was heute nach jenem Tag 2011, als die Empörten erstmals auf die Straße gingen, 15M heißt. Einer der wichtigsten Weggefährten von Iglesias ist Juan Carlos Monedero, ebenfalls Politikprofessor und Berater der venezolanischen und ecuadorianischen Regierung. Beide zusammen gründeten 2008 den akademischen Zirkel „Kritisches Denken“, der sich mit der aktuellen Lage in Spanien und dem System, das sich das Land beim Übergang zur Demokratie in der zweiten Hälfte der 1970er Jahren gegeben hat, auseinandersetzt.

Wenn Iglesias sich mit etwas auskennt, dann ist es politische Kommunikation. Seit Jahren versucht er das Gelernte umzusetzen, mit Erfolg. Alles begann mit „La Tuerka“ – „Die Mutter“ – in einem kleinen, alternativen Fernsehsender in seinem Stadtteil Vallecas. Mittlerweile ist das Programm, in dem Iglesias Interviews führt und die Politik kommentiert, ins Netz umgezogen. Einmal bekannt, wurde Iglesias von zwei fortschrittlichen Privatsendern zu politischen Talkshows geladen. Er argumentiert ruhig, weiß auf alle Angriffe seiner rechten Kollegen am Tisch schlüssige Antworten. Iglesias bringt Einschaltquoten. Das merkte sogar der Rechtsaussensender Intereconomia, wo Iglesias seit April 2013 immer wieder mit den Ideologen des rechten Randes der regierenden PP debattiert. „Es ist mir eine Vergnügen, die Frontlinie zu überschreiten und auf Feindesgebiet zu diskutieren“, lauteten seine ersten Worte.

Der „mit dem Pferdeschwanz“, wie damals viele das neue Gesicht das für frischen Wind sorgte, nannten, wurde allerorts zum Gesprächsthema. Iglesias spricht das im Fernsehen aus, was viele mitten in der Krise empört. Er schimpft auf die Sparpolitik, verurteilt die Bankenrettung auf Kosten der Bürger, verlangt, dass ein Teil der Schulden nicht abbezahlt werden und bringt das tiefe Misstrauen gegen das politische Establishment, das er „die Kaste“ nennt, zum Ausdruck. Auch wenn kein Meinungsforschungsinstitut den Wahlerfolg von Podemos vorhersagte, lieferten die Umfragen ein deutliches Indiz. Iglesias war der Kandidat, dem die Spanier die beste Note gaben.

Der Begriff Partei wird Podemos nicht gerecht. Was da in nur vier Monaten entstand, ist ein weites Netz aus über 300 lokalen Basisversammlungen im In- und Ausland, den sogenannten „Kreisen“. Die paritätisch besetzte Kandidatenliste wurde in einer für alle Spanier offenen Urwahl zusammengestellt. Über 33.000 Menschen nahmen daran Teil. Pablo Iglesias wurde Spitzenkandidat, eine Lehrerin aus der Bewegung zur Verteidigung des öffentlichen Schulwesen gegen Kürzungen und Privatisierung Nummer 2 und ein ehemaliger Chef der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft Nummer 3. Der Wahlkampf wurde mittels Crowdfunding finanziert.

„Wir geben uns mit dem heutigen Erfolg nicht zufrieden“, rief Iglesias in der Wahlnacht den Podemos-Anhängern auf einem Platz im Zentrum Madrids zu. „Es werden weiterhin sechs Millionen arbeitslos sein, sie werden weiterhin Familien zwangsräumen und sie werden weiterhin privatisieren. (…)Ab Morgen werden wir dafür arbeiten, dass dieses Lad wieder eine anständige Regierung bekommt. Wir werden die Kaste aus dem Amt jagen“, versicherte er unter lautem Jubel.

Nur wenige Stunden später bot Podemos „allen Kräften, die aufrichtig gegen die Austeritätspolitik sind“ einen Einigungsprozess an. Dieser Aufruf richte sich an Parteien wie die Vereinigte Linke, die grüne Equo aber auch an die breiten Bewegungen gegen die Zwangsräumungen und gegen die Sparpolitik, die sogenannten Mareas – Fluten – die vor allem im Bildungs- und Gesundheitswesen entstanden sind, und immer wieder Zehntausende auf die Straßen bringen. „Es gibt Leute, die sagen dass die Bewegung 15M zu nichts nutze war. Wenn das so ist, was machen wir hier?“ fragt Iglesias seine Anhänger. Die Antwort: Geballte Fäuste und die Parolen „Das geeinte Volk wird nie besiegt werden“ und „Ja, ja, sie vertreten uns!“

Anderorts war der Jubel verhaltener. Zwar legte auch die Vereinigte Linke zu, und holte mit 9,99 Prozent statt bisher zwei jetzt sechs Europa-Abgeordnete. Doch glauben viele rund im die Kommunistische Partei, dass Podemos ihnen Stimmen geklaut hat. „Wenn man eine Million Wähler hinzugewinnt und dennoch nicht richtig feiern kann, dann läuft irgendetwas schief“, brachte ein Twitteraccount aus dem intellektuellen Umfeld der Vereinigten Linken die Stimmung auf den Punkt. Die Ergebnisse zeigen, dass vielerorts eine linke Mehrheit bei den Kommunal- und Regionalwahlen im kommenden Frühjahr möglich ist. Doch dazu bedarf es einen Einigungsprozess. Und der wird nicht leicht. Zu unterschiedlich ist die politische Kultur der hierarchischen Vereinigten Linken und der basisdemokratischen Organisationen wie Podemos oder auch der grünen Equo (1,91 Prozent), die erstmals einen Sitz errang.

Unter Zugzwang kommt auch die sozialistische PSOE. Sie erreichte mit gerade einmal 23 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis und liegt damit hinter der PP, die von 42 auf 26 Prozent absackte. Mancherorts erhielten die Sozialisten weniger Stimmen als Podemos und Vereinigten Linke zusammen. Die Wähler haben ihr Vertrauen in die Sozialdemokraten als Oppositionskraft verloren, waren doch sie es, die mit der Sparpolitik 2008 begannen.

Parteichef Alfredo Pérez Rubalcaba nahm nur wenige Stunden nach der Wahl den Hut und setzte einen Sonderparteitag für Juli an. Ob dieser einen Kursschwenk nach links beschließen wird, ist unwahrscheinlich. Denn längst werden Stimmen laut, die eine große Koalition für Spanien fordern, damit das Land auch mit einem aufgesplitteten Parlament regierbar bleibe. Unter ihnen die beiden ehemaligen sozialistischen Regierungschefs Felipe González und José Luis Rodríguez Zapatero. An der PSOE-Basis wollen andere mit Podemos und die Vereinigte Linke ins Gespräch kommen. Sie fürchten im Falle eine großen Koalition den völligen Untergang ihrer Partei, ähnlich dem der PASOK in Griechenland.

Nichts ist, wie es vor dem Wahlsonntag war. „Wir gehen langsam, weil wir weit gehen“, hieß es einst 2011 auf den über 50 Protestcamps in ganz Spanien. Mit Podemos scheint diese Prophezeiung Form angenommen zu haben./Foto: Podemos

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