© 2014 Reiner Wandler

Spanier wollen Volksabstimmung

„Spanien wird morgen republikanisch sein“, riefen am Montag Abend Zehntausende auf den Plätzen von 100 Gemeinden und Städten. Sie forderten – nur wenige Stunden nachdem König Juan Carlos zugunsten seines Sohnes Felipe abgedankt hatte – ein Referendum über die Frage „weiter mit der Monarchie oder eine Republik“. Die Kundgebungen waren spontan über Twitter und Facebook organisiert worden. Die Parteien links der sozialistischen PSOE, die Vereinigte Linke (IU), die grüne Equo und die bei den Europawahlen überraschend erfolgreiche neue Protestbewegung Podemos schlossen sich dem Aufruf an.

Die größte Kundgebung fand in Madrid statt. Dort füllte sich der zentrale Platz, die Puerta del Sol, wo einst am 14. April 1931 die Menschen den Sturz des Großvaters von König Juan Carlos und den Beginn der Zweiten Republik feierten. Die Polizei sprach von 20.000 Teilnehmern. In Barcelona und im Baskenland nutzen die Demonstranten den Tag, um gegen die Monarchie und für die Unabhängigkeit ihrer Region einzutreten. Auch in Europa und in Nord- und Südamerika versammelten sich Spanier mit der rot-gelb-purpurne Fahne der Republik. In weniger als 24 Stunden unterzeichneten über 200.000 Menschen eine Internetpedition für eine Volksbstimmung.

„Ich bin voller Hoffnung, denn vielleicht werde ich noch eine Republik sehen, bevor ich sterbe“, erklärte der 62-jährige Vorsitzende der postkommunistische IU, Cayo Lara, auf einer Pressekonferenz auf der er eine Volksabstimmung über die zukünftige Staatsform Spaniens forderte. Pablo Iglesias, Politikprofessor und Sprecher der vor vier Monaten entstandenen Podemos („Wir können“) ging noch einen Schritt weiter. In Brüssel, wo er als einer der fünf Gewählten seiner Partei den Sitz im Europaparlament einnimmt, bezeichnete er die Monarchie als „die Vergangenheit“ und beschuldigte das Königshaus, Teil der Korruption zu sein. „Wenn die Regierung glaubt, dass Felipe von Bourbon das Vertrauen der Bürger als Staatschef genießt, dann müssen sie dies einer Volksabstimmung unterziehen“, erklärte Iglesias. Auch in den Gewerkschaften wurden Stimmen zu Gunsten eines Referendums laut.

„Ich glaube, dass die Monarchie in Spanien eine große Mehrheit hinter sich hat“, entgegnete am Dienstag früh der konservative Regierungschef Mariano Rajoy unbeirrt. „Und wenn dies jemandem nicht gefällt, kann er eine Verfassungsreform planen.“ Sein Kabinett verabschiedete in einer Sondersitzung ein Gesetz, das nächste Woche Dienstag im Eilverfahren mit den Stimmen der konservative Partido Popular (PP) und der größte Oppositionspartei, der sozialistischen PSOE, durchs Parlament gestimmt werden soll. Änderungsanträge werden keine zugelassen. In der zweiten Monatshälfte soll der Kronprinz als Felipe VI. vor dem Parlament und dem Senat vereidigt werden.

Nach der Kabinettssitzung gab es keine Pressekonferenz. Damit blieben die Fragen unbeantwortet, ob die Regierung Ex-König Juan Carlos künftig per Gesetzt weiterhin Immunität einräumen will, wie ein Teil der Presse vermutet. Dies ist keine unwichtige Frage, denn schließlich laufen gegen seine Tochter und seinen Schwiegersohn Ermittlungen wegen Korruption.

Bei den Sozialisten stößt die Linie der Parteiführung, auch weiterhin ohne Wenn und Aber die Monarchie zu unterstützen, nicht nur auf Zustimmung. Die Parteilinke und die Sozialistische Jugend beteiligten sich an den Kundgebungen für ein Referendum.

In Madrid endete die Protestveranstaltung um 23 Uhr mit einer großen Versammlung auf der Puerta del Sol. Es wurde eine weitere Kundgebungen für Dienstagabend beschlossen. Für das Wochenende ist eine Großdemonstration im Gespräch. Nach Ende der Versammlung zogen Tausende Menschen in Richtung Königspalast. Die Polizei riegelte das Gebäude weiträumig ab.

 

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Meine Meinung

Das Recht, frei zu entscheiden

Spaniens konservative Regierung macht es sich einfach. Wer statt einer parlamentarische Monarchie eine Republik will, der müsse ja nur die Verfassung ändern. Das klingt auf den ersten Blick demokratisch. Ist es aber nicht. Denn die beiden großen Parteien, die zusammen mehr als zwei Drittel des Parlaments stellen, können jede Verfassungsreform verhindern. Was aber nicht bedeutet, dass sie in Fragen Monarchie die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich haben. Bei Umfragen unterstützen längst weniger als die Hälfte der Spanier die Monarchie. Eine Volksabstimmung über die Staatsform, wie sie nur wenige Stunden nach dem König Juan Carlos zu Gunsten seines Sohnes Felipe abdankte, Zehntausende in ganz Spanien forderten, könnte deshalb das Aus für die Monarchie bedeuten. Deshalb wollen Regierung und sozialistische Opposition davon nichts wissen.

Es ist keine radikale Forderung, die da gestellt wird. Es geht um grundlegende, demokratische Rechte. Denn die derzeitige Monarchie wurde von den Spaniern nie frei akzeptiert. König Juan Carlos wurde von Diktator Franco zum Nachfolger an der Staatsspitze auserkoren. Eine Mehrheit stimmte 1978 für eine Verfassung, die die Monarchie absegnete. Es war die einzige Alternative, denn alles andere hätte die Gefahr in sich geborgen, dass die Öffnung Richtung Demokratie scheitert.

Heute hat niemand mehr Angst vor der blutigen Vergangenheit. Das Regime von 1978 steht in der Kritik. Die zwei großen Parteien stecken in einer tiefen Krise. Erstmals erhielten sie bei den Europawahlen zusammen weniger als 50 Prozent. Die Politik ist durch und durch korrupt. Selbst gegen den Schwiegersohn und die Tochter des Königs wird ermittelt. Auch die separatistischen Bestrebungen in Katalonien und im Baskenland konnten mit der Verfassung von 1978 und der darin festgeschriebenen Autonomie nicht gelöst werden.

Viele Spanier wollen tiefgreifende Reformen, hin zu mehr Bürgerbeteiligung. Der Wunsch den Staatschef frei zu wählen ist die logische Folge.

Was bisher geschah: