© 2017 Reiner Wandler

Katalonien erhitzt die Gemüter

 

„Wenn wir stark dran ziehen, werden wir es zu Fall bringen. Es kann nicht mehr lange dauern. Ganz sicher: Es fällt, es fällt, es fällt …“, sangen am Sonntag zur Mittagszeit die Menschen vor dem Stadtteiltheater in Lavapiés, einem Viertel in der Madrider Altstadt. Es ist das Lied eines katalanischen Protestsängers aus den letzten Jahren der Franco-Diktatur. Um die Tausend Menschen waren zu einer Veranstaltung für „das Recht der Katalanen frei zu entscheiden“ ins Theater gekommen. Hunderte fanden keinen Platz und folgten der Veranstaltung an der hochrangige Vertreter der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und Politiker der links alternativen Podemos teilnahmen, per Lautsprecher auf der Straße.

Ein großes Polizeiaufgebot beobachtete die Szene. Denn eigentlich sind solche Veranstaltungen verboten. Das Verfassungsgericht untersagt die für den 1. Oktober von der katalanischen Autonomieregierung angesetzten Volksabstimmung über die Zukunft Kataloniens. Ein Gericht in Madrid verhinderte, dass die Veranstaltung in einem gemeindeeigenen Kulturzentrum stattfinden konnte. Deshalb wichen die Organisatoren auf das von einer Genossenschaft geführte Theater aus.

Es war viel von „Meinungsfreiheit“, von „Repression“, „Ausnahmezustand“ und von „dem demokratischen Recht abzustimmen“, die Rede. Katalonien sei nur der Anfang. Die Einschränkungen demokratischer Rechte drohten auch im restliche Spanien. „Katalanen, Madrid mag Euch!“ rief die Moderatorin der Veranstaltung in Madrid. „Sie werden nicht durchkommen!“ antworteten die Menschen im Saal und auf der Straße mit jenem Ruf, mit dem Madrid jahrelang der Belagerung durch faschistische Truppen im spanischen Bürgerkrieg in den 1930er Jahre trotzted.

Katalonien erhitzt die Gemüter weit über die Grenzen der Region hinaus. Denn die konservative Zentralregierung unter Mariano Rajoy lässt in Katalonien Druckereien und Redaktionen durchsuche, beschlagnahmte bisher weit über eine Million Flugblätter und Plakate, verbietet Infotische und verfolgt diejenigen, die Material verteilen und Plakate kleben. Der katalanischen Regierung droht die Staatsanwaltschaft ebenso wie über 700 Bürgermeistern, die das Referendum unterstützen, ganz offen mit Haft.

Bereits am Samstag waren im baskischen Bilbao über 30.000 Menschen auf die Straße gegangen. An dem Marsch unter dem Motto „Demokratie. Wählen um zu entscheiden!“ nahmen neben zahlreichen Vereinigungen und Gewerkschaften, Vertreter aller nationalistischen Parteien, von der linksseparatistischen Bildu bis hin zur im Baskenland regierenden konservativen Baskisch Nationalistischen Partei (PNV) teil. Die Maßnahmen gegen das Referendum in Katalonien wurden mit der Diktatur unter General Francisco Franco verglichen. Auch gegen die spanischen Sozialisten (PSOE) wurden Rufe laut. Sie unterstützen die Regierung voll und ganz in ihrer harten Gangart gegen die Bestrebungen die Volksabstimmung gegen jedweden Widerstand aus Madrid durchzuführen.

Per Videokonferenz war die Präsidentin des katalanischen Parlaments und Befürworterin der Unabhängigkeit, Carme Forcadell, zugeschaltet. Es könne „keine Demokratie in einem Staat geben, der politische Ideen verfolgen lässt“, rief sie unter Applaus.

Erst am Vortag hatte die Polizei eine Veranstaltung in der baskischen Hauptstadt Vitoria geräumt, auf der die Sprecherin der radikalseparatistischen und antikapitalistischen CUP im katalanischen Parlament, Ana Gabriel, ihre Sicht der Dinge darlegen wollte.

Die katalanische Tageszeitung Ara und die spanienweite Nachrichtenweb eldiario.es veröffentlichten in den letzten beiden Tagen Umfragen aus Katalonien. Beide kamen zum Ergebnis, das rund 60 Prozent der katalanischen Bevölkerung teilnehmen wird, sollte es tatsächlich gelingen am 1. Oktober die Urnen aufzustellen. Laut eldiario.es wollen davon 59,5 Prozent für die Unabhängigkeit stimmen. Laut Ara gar 69 Prozent.

Was bisher geschah: