© 2017 Reiner Wandler

Madrid zieht Schraube an

Madrid macht ernst. Das Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens am 1. Oktober soll um jeden Preis verhindert werden. Jetzt nimmt die spanische Generalstaatsanwaltschaft die Bürgermeister der nord-ost-spanischen Region ins Visier. 712 der insgesamt 960 Bürgermeister werden vorgeladen. Sie werden beschuldigt, sich über Anordnungen des Verfassungsgerichtes hinwegzusetzen. Ihr Vergehen: Sie haben zugesichert am 1. Oktober der katalanischen Autonomieregierung unter Carles Puigdemont die üblichen Wahllokale zur Verfügung zu stellen, und dass obwohl das spanische Verfassungsgericht die Volksabstimmung suspendiert hat.

 

„Für den Fall, das die vorgeladenen Bürgermeister nicht erscheinen, wird ihre Vorführung durch die katalanische Autonomiepolizei angeordnet“, heisst es im Schreiben von Generalstaatsanwalt, José Manuel Maza. Die meisten Bürgermeister wollen der Vorladung Folge leisten. Doch einige Gemeindevorsteher der antikapitalistischen CUP, der kleinsten der drei Parteien, die für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien eintreten, haben angekündigt sich zu weigern. Am Samstag wollen die 712 betroffenen Bürgermeister gemeinsam gegen die Vorladung demonstrieren.

Es ist nicht die erste Massnahme des Generalstaatsanwaltes, um das Referendum zu verhindern. So ermittelt er bereits gegen die katalanische Regierung und herausragende Parlamentarier der drei Unabhängigkeitsparteien, der konservativen PDeCat von Puigdemont, der linken ERC und der antikapitalistischen CUP. Ausserdem hat Maza den Chef der katalanischen Autonomiepolizei direkt – über das katalanische Innenministerium hinweg – angewiesen, Urnen und Stimmzettel zu suchen und zu beschlagnahmen. Auch mehrere Gemeindepolizeien erhielten einen solchen Befehl.

„Das ist eine Ungeheuerlichkeit“, reagierte der katalanische Regierungschef Puigdemont in einem Fernsehinterview am Mittwochabend auf die Vorladung der Bürgermeister. Er und seine Regierung werde auf jeden Fall an der Abstimmung am 1. Oktober festhalten, auch wenn dies rechtliche Schritte gegen seine eigene Person zur Folge habe. Puigdemont ließ kurz vor dem Interview die von Madrid gesperrte offizielle Seite für das Referendum im Internet mit einer neuen Adresse wieder freischalten. „Wir wollen noch immer eine mit Madrid ausgehandelte Volksabstimmung“, bot Puigdemont dem Konaservativen Ministerpräsident Spaniens, Mariano Rajoy, einmal mehr ein en Dialog an.

Dieser stellt sich taub und bereitet weitere Schritte vor. Mehrere Tausend Polizisten und Guardia Civiles werden nach Katalonien verlegt. Ausserdem wird richterlich geprüft, ob es möglich ist, am Wahltag den Strom in den Wahllokalen zu kappen. Im Notfall schießt Madrid auch eine Amtsenthebung der katalanischen Regierung nicht aus, wie es die Verfassung in ihrem Artikel 155 vorsieht. Dort ist auch von einem möglichen Einsatz der Armee, „dem Garant der Einheit Spaniens“, die Rede.

Am Freitag beginnt offiziell der Wahlkampf für das Referendum, so sieht es das vom Verfassungsgericht suspendiert katalanische Gesetz vor. Puigdemont will in Badalona, der drittgrößten Stadt Kataloniens be einer Kundgebung auftreten. Auch dies ist – so die Regierung und Justiz in Madrid – illegal. Eine Informationsveranstaltung in der spanischen Hauptstadt selbst, wurde bereits richterlich verboten.

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Meine Meinung

Ausnahmezustand

 

Was in Katalonien geschieht, verdient nur einen Namen: Schleichender Ausnahmezustand. Madrid verlegt Polizeikräfte in die nord-ost-spanische Region, damit diese am 1. Oktober, die von der Autonomieregierung geplante Volksabstimmung über die Unabhängigkeit verhindern. Hunderte von Bürgermeister werden vorgeladen und mit Haft bedroht, gegen die Autonomieregierung wird ermittelt, Webs werden geschlossen, freiwillige Helfer drohen Gerichtsverfahren, die mit Haftstrafen enden können. Und selbst in Madrid wird eine Informationsveranstaltung zum Thema verboten.

Nicht nur das Referendum, jedwede Diskussion über das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen – und damit anderer Völker in Spanien, wie etwa Basken oder Galicier – sind unerwünscht.

Egal wie man letztendlich zur Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien und anderen Regionen stehen mag, das was da geschieht hat nichts mit der vom spanischen Ministerpräsidenten, dem Konservativen Mariano Rajoy, proklamierten Verteidigung der Verfassung und ihrer demokratischen Freiheiten zu tun. Die Politik Rajoys und seiner durch und durch korrupten Partido Popular ähnelt vielmehr einen Konzept von Spanien, wie es bereits die Diktatur unter General Franco hatte. Dass er dabei auch von den Sozialisten unterstützt wird, ist mehr als traurig.

Wenn – je nach Umfrage – zwischen 70 und 80 Prozent der katalanischen Bevölkerung über ihre Zukunft frei abstimmen wollen, ist dies ein gerechtfertigter Wunsch. Madrid täte gut daran, einzulenken, bevor es zu spät ist. In Kanada und in Großbritannien haben sie vorgemacht, wie das geht. In beiden Fällen unterlagen übrigens die Verfechter der Unabhängigkeit. Je länger Rajoy auf Repression setzt, um so unwahrscheinlicher ist es, dass er die Einheit Spaniens wahren kann.

Dies sollte auch eine Warnung an die Politiker in Brüssel sein. Es geht nicht – wie die EU-Kommission immer wieder erklärt – um einen reinen, inneren Konflikt Spaniens, es geht um fundamentale, demokratische Rechte.

Was bisher geschah: