© 2015 Reiner Wandler

Vier statt zwei

RWXP2786

 

„Ja, man kann!“ ruft der junge Kandidat, der am kommenden Sonntag spanischer Regierungschef werden will, seinen Anhängern zu. „Wir sind normale Leute, die ausserordentliche Dinge vollbringen“, heisst ein weiteres Motto. Er verspricht einen „Wandel“ und einen Wahlgang „mit Begeisterung“. Die Rede ist nicht vom 37-jährigen Chef der neuen Anti-Austeritätspartei Podemos (Wir können), dem Politikprofessor Pablo Iglesias. Die Rede ist von Albert Rivera. Der 36-jährige Anwalt aus Barcelona ist Spitzenkandidat von Ciudadanos (Bürger).

Auch er streitet um die Stimmen der von den beiden alten Parteien, der konservativen Partido Popular (PP) von Regierungschef Mariano Rajoy und der sozialistischen PSOE unter Pedro Sánchez Enttäuschten. Rivera benutzt nicht nur die gleichen Parolen er wettert wie Iglesias gegen Korruption, das verknöcherte politische System und fordert politische Reformen.

Doch damit sind die vergleichbaren Elemente auch schon aufgezählt. Anders als Podemos, die aus dem Umfeld der sogenannten „Empörte“ und der sozialen Protesten gegen die Sparpolitik entstand, ist Ciudadanos nicht neu. Die Partei wurde vor neun Jahren im nord-ost-spanischen Katalonien von einer Handvoll Intellektueller als Gegengewicht für die Separatisten gegründet. Ciudadanos wirbt für ein zentralistisches Spanien. Der gutausschauende Rivera wurde zum Spitzenkandidaten. Er ließ sich nackt auf einem Plakat abbilden und zog auf Anhieb ins katalanische Autonomieparlament ein.

Ohne die Aufbruchstimmung, die Spanien vor eineinhalb Jahren nach dem überraschenden Einzug von Podemos ins Europaparlament, erfasste, wäre Ciudadanos wohl eine regionale Partei geblieben. „Wir brauchen eine rechte Podemos“, warb ein Banker; die großen Medien des Landes griffen die Idee auf. Rivera redete vom „besonnenen Wandel“ und kam damit in Funk, Fernsehen und Presse. Während sich Podemos mit Kleinstdarlehen und Spenden der Bürger finanziert, verfügt Ciudadanos über Millionenkredite. In Rekordzeit baute Rivera spanienweit Strukturen auf. Er setzte dabei auf Überläufer aus Reihen der großen Parteien.

Ciudadanos definiert sich als die neue politische Mitte und stösst damit bei enttäuschten konservativen Wählern und am rechten Rand der Sozialisten auf Zuspruch. In Andalusien wurde Ciudadanos vergangenen März zum Zünglein an der Waage und verhalf den durch Korruption schwer angeschlagenen Sozialisten erneut an die Macht. Seit Mai stützt Ciudadanos die konservative PP in Madrid. Auch hier hatten die Wähler die Regierung für Korruption und Sparpolitik abgestraft.

Jetzt im Wahlkampf werden die Unterschiede zwischen Wandel und Wandel immer deutlicher. Rivera wirbt für mehr Eigenverantwortung und weitere Privatisierungen. Lehrer sollen künftig keine Beamten mehr sein. Er will die Arbeitslosigkeit mit einer eine weitgehende Abschaffung des Kündigungsschutzes bekämpfen. Er verspricht Steuererleichterungen für Unternehmer und Besserverdienende, sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer, während Podemos für mehr Sozialausgaben, Steuererhöhung für Großunternehmen und Großverdiener eintritt, sowie für die Rücknahme von Sozialkürzungen und für eine langsamere Schuldenrückzahlung steht.

Als einziger Kandidat will Rivera einen Kriegseinsatz in Syrien während Podemos auf diplomatische Massnahmen im Kampf gegen den Islamischen Staat setzt. Ginge es nach Rivera, würde gar das Gesetz gegen häusliche Gewalt gegen Frauen abgeschafft, denn es sei egal von wem die Gewalt ausgehe, ob von einem Mann gegen eine Frau oder umgekehrt. Der Aufschrei bis hinein ins konservative Lager war groß. Alleine in diesem Jahr starben in Spanien 52 Frauen an Folge häuslicher Gewalt.

Sah es noch vor zwei Wochen so aus, als ob Rivera Rajoy gefährlich nahekommen könnte, lassen solche Aussagen die Umfragewerte sinken. Am Montag – dem letzen Tag an dem Umfragen erlaubt waren – lag die PP mit 25 bis 28 Prozent an der Spitze. Die meisten Institute sehen dahinter ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen PSOE, Ciudadanos und Podemos um Platz 2. Während PSOE und Ciudadanos in der Wählergunst Punkte verlieren, legt Podemos seit Wochen langsam aber sicher zu. Die Umfragen hatten die junge Partei Anfang des Jahres teilweise als stärkste Kraft gesehen. Doch als Ciudadanos die politische Bühne betrat, orientierte sich ein Teil der Wähler, bei ihrer Suche nach einer Möglichkeit die Altparteien abzustrafen, um. Podemos sank auf Platz 4.

„Aufholjagd“, rufen die Podemosanhänger auf den Wahlkampfveranstaltungen. Der erneute Rückenwind ist nicht zuletzt den beiden TV-Debatten zu verdanken, bei denen Iglesias am besten abschnitt. Seine sozialpolitischen Pläne, sowie sein Versprechen soziale Rechte, die Unabhängigkeit der Justiz und den Kampf gegen die Korruption in der Verfassung zu verankern, kommen an.

Denn obwohl die Regierung makroökonomische Erfolge feiern kann, bei den Menschen kommt davon nur wenig an. Die Arbeitslosigkeit liegt mit offiziellen 22,5 Prozent kaum unter der vor vier Jahren. Der langsam abnehmende Arbeitslosigkeit ist zu einem erheblichen Teil das Ergebnis des Rückgangs der aktiven Bevölkerung durch Abwanderung junger Spanier und Immigranten.

„Es werden keine Arbeitsplätze geschaffen, sondern die wenige Arbeit, die es gibt wird immer mehr aufgeteilt“, erklärt Iglesias auf den Wahlkampfveranstaltungen. Nur 5 Prozent der neuen Verträge sind Vollzeit und unbefristet. 27 Prozent der Spanier leben an oder unter der Armutsgrenze. 3,7 der 5,1 Millionen Arbeitslose beziehen keinerlei Stütze mehr. In 1,8 Millionen Haushalten sind alle ohne Arbeit.

Iglesias umgibt sich mit Unabhängigen, die seinem ansonsten jungen Team Gewicht verleihen sollen: Unter ihnen zahlreiche bekannten Aktivisten der Sozialproteste, eine Sprecherin des einflussreichen Demokratischen Richtervereins, ein Anti-Korruptionsrichter, ein ehemaliger Sprecher der Polizeigewerkschaft und selbst ein Ex-Generalstabschef der spanischen Armee. „Die Besten aus der Gesellschaft“, bewirbt Iglesias seine Kandidaten.

Wenige Tage vor dem Urnengang steht nur eines fest. Spaniens Zwei-Parteien-System ist Geschichte. Selbst wenn Rajoy die Wahlen erneut gewinnen dürfte, wird seine PP rund ein Drittel der Stimmen und der Sitze im Parlament verlieren. Zum Regieren reicht es ohne Bündnis nicht. In einigen der letzten Umfragen kommen nicht einmal PP und Ciudadanos zusammen auf eine Parlamentsmehrheit.

Auf der anderen Seite will Iglesias nur dann mit den Sozialisten zusammengehen, wenn Podemos vorn liegt. „Nur so ist ein Wandel möglich“, erklärt er und verweist auf Städte wie Barcelona, Madrid oder Cádiz, wo Podemos-nahe Bürgerleisten die Sozialisten überrundeten und so zur Unterstützung einer neuen Politik zwingen konnten. Wer sozialistische Ideale verfolge habe nur eine Wahl, Podemos, wirbt Iglesias um diejenigen, die noch immer nicht entschieden haben für wenn sie stimmen sollen. 41 Prozent sind es laut Umfragen.

Bleibt die Möglichkeit einer Koalition der beiden alten Parteien, PP und PSOE. Für sie wirbt der ehemalige, sozialistische Regierungschef Felipe González und Vertreter aus der Wirtschaft, im Dienste der Stabilität und Fortführung der von Europa diktierten Sparpolitik. Denn die Krise ist längst nicht vorbei. Alleine im kommenden Jahr muss Madrid – so die EU – weitere zehn Milliarden Euro einsparen. Für Podemos wäre eine solche Koalition fast wie ein Sieg. Denn die noch verbleibenden sozialistischen Wähler würden dies wohl kaum akzeptieren. Die PSOE könnte zur neuen Pasok werden und Podemos bald schon den Platz einnehmen, den Syriza in Griechenland erstritten hat.

Was bisher geschah: