„Via Lluire“ – „Freier Weg“ – heisst das Spektakel mit dem heute Hunderttausende die „Diada“, den Nationalfeiertag Kataloniens, zelebrieren werden. Sie wollen sich auf einer sechsspurigen Hauptverkehrsadern Barcelonas aufstellen. Auf der Mittelspur wird ein riesiger Pfeil auf das Parlament der nordostspanischen Region zu eilen. „Es ist die endgültige, die letzte Diada für ein neues Land“, heisst es im Aufruf der Bürgerbewegung Katalanische Nationalversammlung (ANC).
Die heutige Diada ist der Startschuss zu den „wichtigsten Wahlen, die Katalonien je sah“, den vorgezogenen regionalen Parlamentswahlen am 27. September. Auf Drängen der ANC werden die beiden größten nationalistischen Parteien, die konservative Demokratische Konvergenz Kataloniens (CDC) und die Republikanische Linke Kataloniens (ERC), auf einer gemeinsamen Liste antreten. Einziger Programmpunkt: Die Unabhängigkeit.
Sollte die Liste mit dem Namen „Gemeinsam für das Ja“, an der namhafte Künstler, Intellektuelle sowie Vertreter verschiedner Bürgerinitiativen teilnehmen, die absolute Mehrheit erzielen, soll eine neue Regierung als bald als möglich die Loslösung von Spanien einleiten.
In den letzten drei Jahren nahm die Zahl derer, die für die Unabhängigkeit Kataloniens eintreten ständig zu. Eine Volksabstimmung, wie die in Schottland, wurde von der Madrider Regierung des Konservativen Mariano Rajoy mit Verweis auf die spanische Verfassung unterbunden. Nach einer symbolischen Volksbefragung der ANC im vergangenen Jahr, bei der das „Ja“ zu einem eigenständigen Katalonien gewann, soll die Wahl jetzt den Weg zu einer – im Extremfall auch einseitig verkündeten Loslösung – den Weg ebnen. „Wenn die Leute in etwas glauben, entsteht eine ausdauernde Bewegung“, erklärt der bisherige Regierungschef Kataloniens Artur Mas (CGC) und warnt davor, dass im Falle einer Wahlniederlage „Spanien Katalonien gnadenlos überrollen“ werde. Mas will auch der künftigen Regierung vorstehen.
Die in Madrid regierende Partido Popular (PP) von Mariano Rajoy reagiert nervös. Im Eilverfahren wird die Normen des Verfassungsgerichtes geändert, damit das Gericht Mas, falls er ernst macht, mit Strafe belegen kann. Verteidigungsminister Pedro Morenés bringt gar den Artikel 155 der Verfassung ins Gespräch. Dieser sieht vor, dass Madrid die katalanische Autonomie, und damit Regierung und Parlament suspendieren kann, im Notfall mit dem Einsatz der Armee, dem verfassungsmässigen Garanten für die Einheit des Landes. „Wenn alle ihre Pflichten erfüllen, wird kein Eingriff nötig sein“, zeigtt Morenés Entschlossenheit zur Härte.
Die beiden zentralstaatlich orientierten Parteien, PP und Ciudadanos (Bürger) wollen den Teil der Bevölkerung mobilisieren, die gegen eine Unabhängigkeit sind. Während es für die vor neun Jahren in Katalonien entstandenen Ciudadanos laut Umfragen bei den Wahlen um Platz zwei geht, dürfte die PP ebenso wie die Sozialisten im einstelligen Bereich bleiben. Katalonien straft die beiden Großen noch mehr ab als das restliche Spanien.
„Katalonien, ja man kann“ – ein Bündnis rund um die neue Protestpartei Podemos sowie regionalen Postkommunisten und Grüne will sich der Logik des „Ja“ oder „Nein“ zur Unabhängigkeit nicht unterwerfen. „Eine Stimme für uns ist eine doppelte Stimme, gegen Mas und gegen Rajoy“, erklärt Podemos Generalsekretär Pablo Iglesias, der den katalanischen Spitzenkandidaten, den historischen Aktivist aus der Bewegung der Nachbarschaftsbewegung in den Arbeiterstadtteilen und Vororten Barcelonas, Lluís Rabell, im Wahlkampf unterstützt. Die katalanische Regierung habe die gleiche, unsoziale Austeritätspolitik betrieben, wie Rajoy in Madrid. Patriotismus sei es, das Sozialsystem, sowie das öffentliche Bildungs- und Gesundheitssystem zu verteidigen, werben sie um die Stimmen der Einwanderer aus dem restlichen Spanien.
Eines der wichtigsten Themen ist dabei die Korruption. Mas‘ CDC soll bei Vergabe öffentlicher Aufträge regelmässig drei Prozent Kommission kassiert haben. Ein Verfahren, das nur allzu stark an die illegale Finanzierung von Rajoy’s PP erinnert. Iglesias tritt für eine Volksabstimmung in Katalonien ein, will aber gleichzeitig „dass die Katalanen bleiben.“ Auch seine Formation darf auf den zweiten Platz hoffen./Foto: ANC