© 2014 Reiner Wandler

Spanien beendet Demonstrationsfreiheit

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Spaniens konservative Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy ist immer wieder Ziel massiver Proteste gegen die Sparpolitik. Jetzt soll damit Schluss sein. Dank der absoluten Mehrheit der Volkspartei (PP) wird das Parlament heute ein sogenanntes „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ verabschieden. Vergehen im Rahmen von Protestaktionen, die bisher vor Gericht angezeigt werden mussten, werden künftig direkt von der Polizei als Ordnungswidrigkeit mit Bußgeldbescheid von bis zu 600.000 Euro geahndet. Opposition, Anwälten und Menschenrechtsorganisationen sehen darin den Versuch die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit weitgehend einzuschränken und Angst zu verbreiten. „Knebelgesetz“ nennen sie das Werk.

Wer künftig an einer von der spanischen Verfassung eigentlich geschützten, spontanen Demonstration teilnimmt, um zum Beispiel die Zwangsräumung einer Wohnung zu verhindern, begeht eine leichte Ordnungswidrigkeit und muss mit einem Bußgeld von 100 bis 1.000 Euro rechnen. Weigert er/sie sich einem Beamten den Ausweis auszuhändigen, kommen weitere 1.000 Euro hinzu. Der Aufruf zu einem solchen Protest per Twitter oder Facebook kostet ebenfalls 1.000 Euro. Und kommt es bei der Protestaktion zu Ausschreitungen, ist die Teilnahme oder der Aufruf eine schwere Ordnungswidrigkeit und kostet bis zu 30.000 Euro. Wer sich nicht ausweisen will, passiven Widerstand leistet, oder Polizeianweisungen nicht befolgt, dem droht die gleiche Strafe.

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Die Regierung möchte verhindern, dass die oft völlig überzogenen Polizeieinsätze dokumentiert werden. Das Fotografieren und Filmen der Beamten oder die Veröffentlichung und das Teilen solcher Aufnahmen im Netz, kostet bis zu 1.000 Euro. Wer gegen Polizei und Staat twittert, darf wegen „Beleidigung“ mit 30.000 Euro rechnen.

Doch damit nicht genug. Wer etwa vor einem AKW demonstriert und dadurch nach Ansicht der Polizei „eine wichtige Infrastruktur gefährdet“, begeht eine sehr schwere Ordnungswidrigkeit. Das kostet 30.000 bis 600.000 Euro. Das gilt auch für Proteste am Vorabend einer Wahl. Das Protestcamp der Empörten in Madrid käme den Zehntausenden, die sich damals in der Nacht vor den Kommunal- und Regionalwahlen 2011 versammelten heute teuer zu stehen.

Die Polizei wird ermächtigt, ein Archiv anzulegen. Denn wer drei leichte Ordnungswidrigkeiten in einem Jahr begeht, wird für eine schwere zur Kasse gebeten. Drei schwere werden zu einer sehr schweren. Außerdem kann ein Gericht bei einer schweren Ordnungswidrigkeit zusätzlich eine Haftstrafe von bis zu 9 Monaten verhängen. Bei einer sehr schweren Ordnungswidrigkeit gar bis zu einem Jahr.

Auch Einwanderer bekommen das neue Sicherheitsgesetz zu spüren. So wird der Grenzpolizei erlaubt, Flüchtlinge unweigerlich abzuschieben. Für das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen ist dies ein klarer Verstoss gegen internationales Recht. Da die Betroffenen keine Möglichkeit haben, einen Asylantrag zu stellen.

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Meine Meinung

Ruhe bitte, auf den billigen Plätzen

Spanien schafft die Demonstrationsfreiheit ab. Nein, das ist keine Übertreibung, wie sie den Gegner der Konservativen immer wieder unterstellt werden. Was da als Gesetz zur Sicherheit der Bürger verkauft wird ist ein tiefer Eingriff in die Grundrechte. Künftig entscheiden nicht die Gerichte, ob es bei den unzähligen Sozialprotesten – alleine in Madrid waren es im vergangenen Jahr über 3.000 – zu irgendwelchen gesetzwidrigen Aktionen kam. Das bestimmt alleine die Polizei. Jedwede oppositionelle Äusserung, jedweder Protest, sei er auch noch so klein und noch so friedlich wird im Katalog des neuen Gesetzes erfasst. Aus zivilem Ungehorsam, aus spontaner Empörung werden damit Vergehen, die zwischen 100 und 600.000 Euro kosten können. Die Polizeibeamten, die in den letzten Jahren immer wieder vor Gericht der falschen Anschuldigungen gegen Demonstranten überführt wurden, werden künftig ohne jegliche richterliche Kontrolle bestrafen.

„Knebelgesetz“ nennen es die Kritiker. Der Ausdruck ist eigentlich noch zu schwach gewählt. Das Gesetz bedeutet das Ende der wichtigsten demokratischen Freiheiten. Während Hunderte der Korruption verdächtigten Politiker in Gemeinden, Regionen und auch in der Rajoys Regierung weiter im Amt sind, ist der Protest gegen diese Machtclique, gegen den sozialen Kahlschlag im Namen der Austerität, gegen die Privatisierung des gesamten öffentlichen Bereichs künftig illegal. Die Bevölkerung soll nicht nur mundtot gemacht werden. Es geht darum Angst zu verbreiten. Angst vor der Kriminalisierung und damit vor dem finanziellen Ruin. Denn für einen normalen Bürger ist ein Bußgeld von 1.000 Euro sehr viel Geld, um von 30.000 oder gar 600.000 Euro ganz zu schweigen.

Würde, sagen wir einmal Russland oder Venezuela ein solches Gesetz erlassen, wäre die Empörung aller aufrichtigen Demokraten in der EU nicht zu überhören. Doch es geht um Spanien und damit um die Rettung des Euros, des Bankensystems, um die Zufriedenheit der Märkte. Was sind gegen so hehre Ziele schon ein paar Grundrechte?

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Was bisher geschah: