© 2014 Reiner Wandler

Katalonien – und kein Ende

RWXP6744

Zehntausende Menschen gingen am Dienstag Abend trotz strömendem Regen in Katalonien auf die Straße. „Wir wollen abstimmen“, riefen sie immer wieder. Am Vortag hatte das spanische Verfassungsgericht eine für den 9. November vorgesehene Volksbefragung über die Unabhängigkeit der nord-ost-spanischen Region rund um Barcelona suspendiert. Das Hohe Gericht hat nun fünf Monate Zeit, um ein Urteil über die Verfassungsmässigkeit einer solchen Abstimmung zu entscheiden. Es wird davon ausgegangen, dass das Urteil zugunsten der spanischen Zentralregierung fällt, die den Antrag auf Überprüfung stellte und das entsprechende katalanische Volksbefragungsgesetz, das vor zehn Tagen vom Autonomieparlament in Barcelona verabschiedet worden war, für unrechtmässig hält.

„Weder Regen noch Schnee werden uns stoppen“, rief die Sprecherin der Bürgerinitiative „Katalanische Nationalversammlung“ (ANC), Carme Forcadell, den in Barcelona versammelten Menschen zu. Wie überall in Katalonien waren sie vor das Rathaus gezogen. Forcadell erinnerte daran, dass das vom Verfassungsgericht ausgesetzte Volksbefragungsgesetz von 80 Prozent der Abgeordneten im katalanischen Autonomieparlament angenommen wurde. Ausserdem haben 90 Prozent aller katalanischen Gemeinden Resolutionen für eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit verabschiedet. „Es ist der Moment zu zeigen, ob wir souverän sind oder nicht“, fügte Forcadell hinzu.

Die katalanische Autonomieregierung unter dem Nationalisten Artur Mas setzte derweil die Vorbereitung für die Befragung aus. Er wolle damit die Beamten in der Region schützen, denn eine weitere Vorbereitung könnte strafrechtliche Folgen für sie haben. Die Autonomieregierung will Widerspruch vor dem Verfassungsgericht einlegen.

Madrid wird wohl kaum einlenken. „Es gibt nichts und niemanden, keine Autorität, keine Institution, die das Prinzip der einheitlichen und unteilbaren Souveränität, die die Basis unseres Zusammenlebens ist, brechen kann“, erklärte der spanische, konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy vor der Presse, warum er das Referendum stoppen ließ. Die Pläne des katalanischen Autonomiepräsidenten Artur Mas, der vergangenen Samstag den Wahltermin per Dekret festsetzte, verstoße gegen das Gesetz, und sprenge den Rahmen der Demokratie, fügte Rajoy hinzu. „Ohne Gesetz gibt es keine Demokratie (…) und ohne Gesetz gibt es auch keine Politik“, urteilte er.

Artur Mas wundert sich angesichts der ansonsten langsamen spanischen Justiz über die „Überschallgeschwindigkeit“, mit der die zwölf Richter im Falle Kataloniens gehandelt haben. Zwischen Antrag der Regierung und Entscheidung lagen gerade einmal sechs Stunden. „Einen großen, schweren Fehler“ sieht sein Regierungssprecher Francesc Homs im Vorgehen Madrids. „Sie denken, dass sie damit die Bewegung abtöten. Ich bin davon überzeugt, dass sie damit die Bewegung in Katalonien sogar noch stärken“, fügte er hinzu.

Die Bürgerbewegungen, die in den letzten Jahren immer wieder Hunderttausende für die Unabhängigkeit mobilisierten, verlangen von Mas „zivilen Ungehorsam“. Er solle am 9. November die Urnen trotz Anordnung aus Madrid aufstellen. Mas hat dies bisher immer wieder abgelehnt. Eine Möglichkeit, die Katalanen dennoch – wie versprochen – wählen zu lassen, wären vorgezogene Neuwahlen, bei der alle Parteien, die für die Unabhängigkeit sind, mit dieser als Programmpunkt antreten. Die Wahlen würden so zum Plebiszit.

Angesichts der Ankündigung weiterer Proteste schickte das Madrider Innenministerium am Dienstag 180 Polizisten eines Sondereinsatzkommandos nach Barcelona. Damit sind dort jetzt 470 Beamte für Einsätze gegen Demonstranten stationiert. Der Vertretung der Zentralregierung in Barcelona rief zu einer Krisensitzung, um den Schutz von zentralstaatlichen Gebäude zu verstärken. In der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch wurde ein spontan entstandenes Protestcamp vor der Vertretung der Zentralregierung von der Polizei geräumt.

 

 

*****

Meine Meinung

Der Crash

Viele haben vor einem „Zugcrash“ gewarnt. Doch weder die konservative Regierung in Madrid, noch die nationalistische Autonomieregierung in Katalonien wollten dies hören. Jetzt ist es soweit. In Katalonien wurde für den 9. November eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der nord-ost-spanischen, wirtschaftsstarken Region anberaumt. Madrid zog umgehend vors Verfassungsgericht und ließ das Vorhaben suspendieren.

Die Lage könnte verfahrener nicht sein. Denn an diesem Punkt angelangt, sind Verhandlungen für keine der beiden Seiten möglich, ohne das Gesicht zu verlieren. Ein Kompromiss ist undenkbar.

Der katalanische Ministerpräsident Artur Mas wird alles tun, damit seine Katalanen wählen. Da ein Referendum nicht möglich ist, spielt er mit dem Gedanken, vorgezogene Neuwahlen anzusetzen und diese zu einer Art Plebiszit zu machen. Ein breiter Sieg der Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, hätte die gleichen Folgen, wie die verhinderte Volksbefragung, die nicht verbindlich gewesen wäre. Der Druck auf Madrid wird erhöht. International würde klar, dass Katalonien nicht Spanien sein will.

Die Zeit spielt für die Nationalisten. Mit jedem Winkelzug aus Madrid wird die Zahl derer, die sich lossagen wollen größer. Je später über die Unabhängigkeit abgestimmt wird, um so besser die Chancen derer, die Katalonien von Spanien loslösen wollen. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy ist unfähig das zu sehen. Es besteht zu befürchten, dass die Geschichte ihn belehren wird.

Was bisher geschah: