© 2013 Reiner Wandler

Trübe Stimmung – soziale Kälte

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Trotz des immer wieder einsetzenden Nieselregens sind Zehntausende zum 1. Mai in Madrid gekommen. Gerufen haben die beiden großen Gewerkschaftszentralen Spaniens, CCOO und UGT. Die Stimmung ist wie das Wetter, trübe. Vorbei sind die Zeiten, als von Vollbeschäftigung und Ausbau des Sozialstaates die Rede war. „Sie kennen keine Grenzen“ lautet das diesjährige Motte. Sie, das sind die Unternehmer, die Banken, die konservative Regierung, und Brüssel und Berlin, die die Sparpolitik diktieren.

„Wir haben gedacht, dass der Kapitalismus friedlicher geworden ist. Doch das war ein Irrtum. Heute zeigt er sich in seiner ganzen Aggressivität“, schimpft Raquel Vega. Die 58-jährige Vorschullehrerin redet vom rapiden Zerfall des Sozialstaates, den Kürzungen bei Bildung und Gesundheit und von der ständig stiegenden Arbeitslosigkeit. 6,2 Millionen – 27,2 Prozent – sind in Spanien ohne Job. Der konservative Regierungschef Mariano Rajoy gibt ganz offen zu, dass er bis Ende seiner Legislatur im Herbst 2015 keine Chance sieht, daran etwas Wesentliches zu ändern.

„Sie haben nur eines im Sinn, schnellen Gewinn für befreundete Unternehmer“, sagt Vega. Im Bildungsbereich wurden im vergangenen Jahr 90.000 Stellen an öffentlichen Schulen abgebaut, während die Privaten gefördert werden. „In den Vorschulen haben sie zum Beispiel einen Scheck eingeführt, mit dem die Familien ihre Kinder kostenlos auf private Einrichtungen schicken können. Die Zahl der Schüler an öffentlichen Vorschulen geht zurück, Einrichtungen werden geschlossen“, weiß Vega.

Sie trägt ein grünes T-Shirt mit einem Slogan zur Unterstützung des öffentlichen Schulwesens. Es ist das Symbol der Lehrer die zuerst in Madrid und mittlerweile in ganz Spanien gegen diese Entwicklung protestieren. „Am 9. Mai werden wir erstmals im ganzen Land von der Vorschule bis zu den Hochschulen streiken“, berichtet Vega.

Auch Juan Carlos Arrieta ist einer von denen, der wie Raquel Vega auf keiner Mai-Demo fehlt. Dieses Mal ist es für ihn und seine Kollegen des öffentlichen Regionalfernsehens ein trauriger Jahrestag. „Retten wir Telemadrid“ steht auf seinem Shirt. Seit einem Jahr sind sie fast täglich auf der Straße und haben den Kampf dennoch verloren.

„829 Kollegen von knapp 1200 wurden entlassen“, sagt der 53-jährige Regieassistent, der mit zu den Betroffenen gehört. Zwar hat das Arbeitsgericht die Massenentlassung als nicht berechtigt eingestuft, doch Geschäftsführung und Regionalregierung lehnen die Wiedereinstellung ab. Das Verfahren geht in die nächste Runde. „Wir sind so was wie ein Versuchsfeld im öffentlichen Dienst“ ist sich Arrieta sicher. „Wenn sie unseren Fall gewinnen, werden sie auch bei anderen Einrichtungen zuschlagen.“

Dank eines neuen Arbeitsrechtes, das Erlassungen erleichtert, verloren in 17 Monaten Regierung Rajoy weit mehr als eine Million Menschen ihren Job. Darunter Hunderttausende aus dem öffentlichen Dienst. „Die Rechte wird nicht eher ruhen, bis sie uns alles genommen hat. Sie wollen keine selbstbewussten Arbeiter, sondern Sklaven“ sagt Arrieta und hat dabei nicht nur Rajoy sondern auch die deutsche Kanzlerin Merkel mit ihrer europäischen Austeritätspolitik im Visier.

Sowohl Raquel Vega als auch Juan Carlos Arrieta haben mehr Disziplin als Moral, wenn es um ihr Gewerkschaftsbuch geht. „Sie haben zu viel verhandelt und zuwenig gehandelt“, beschwert sich Vega über die Gewerkschaftsführung. Arrieta vermisst die Solidarität auf europäischer Ebene: „Die Gewerkschaften schauen zu stark auf die nationale Realität, während die Politik in Brüssel global denkt und überall das gleiche neoliberale Programm umsetzt.“

Für die beiden steckt die Gewerkschaftsbewegung tief in der Krise. „Doch Gewerkschaften wird es geben solange es Arbeiter gibt, wenn auch vielleicht nicht die Gewerkschaften, die wir heute haben“, gibt sich Arrieta nach kurzer Pause dennoch optimistisch, was die Zukunft der Arbeiterbewegung angeht.

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