Algerien steht vor einer Kraftprobe. Die Nationale Koordination für den Wandel und die Demokratie (CNCD), ein Bündnis aus unabhängigen Gewerkschaften, Oppositionsparteien, Menschenrechts- und Jugendorganisationen, ruft für den heutigen Samstag – trotz Verbot – zu Großdemonstrationen in der Hauptstadt Algier, der zweitgrößten Stadt Oran, sowie mehreren anderen Provinzhauptstädten. Das Regime mobilisiert alleine in Algier 20.000 Polizisten.
Es geht um alles oder nichts. Das Ziel der CNCD, die nach den Unruhen gegen die Erhöhung der Preise für Grundnahrungsmittel im Januar ins Leben gerufen wurde, ist die Aufhebung des Ausnahmezustandes, der am 9. Februar seinen 19. Jahrestag feierte. Obwohl Präsident Abdelaziz Bouteflika vor wenigen Tagen seine „baldige Aufhebung“ versprach, ist er noch immer in Kraft. Außerdem fordern die Organisatoren demokratische Reformen, die in echte freie Wahlen münden sollen. Seit zwei Wochen kommt es in Algerien zu massiven Streiks in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. „Wir werden alles dafür tun, dass die Protestmärsche friedlich bleiben“, erklärt der Vorsitzende der Algerischen Menschenrechtsliga, Mustafa Bouchachi, einer der Sprecher der CNCD.
1800.000 Polizisten gibt es in ganz Algerien. 20.000 davon werden laut Innenministerium alleine in der Hauptstadt versuchen „mit allen Mitteln den Marsch zu unterbinden“. Die Zufahrtsstraßen nach Algier sollen gesperrt, Züge und Busverbindungen ausgesetzt werden. Hubschrauber werden ständig die Stadt beobachten. An der vorgesehenen Demonstrationsroute durch die Innenstadt sind seit Tagen Sondereinsatzkommandos stationiert. An manchen Stellen ist sogar die Armee aufgezogen. Und Algeriens Regierung hat sich etwas ganz neues ausgedacht. Alle 50 Meter wird eine Anti-Selbstverbrennungsbrigade ausgestellt. Es sind Dreier-Gruppen aus Feuerwehrleute mit Brandschutzdecken und Feuerlöschern. Sie sollen Selbstmordaktionen Protestierender verhindern. Seit Anfang Anfang Januar kam es laut lokaler Presse zu rund 40 Versuchen von Selbstverbrennungen alleine in Algerien. Die Revolution im benachbarten Tunesien war durch eine solche Aktion ausgelöst worden.
Die Organisatoren der Demonstrationen bekamen Anfang der Woche überraschend Unterstützung aus Reihen des Regimes. „Werden wir unsere Probleme mit den gleichen Akteuren zu lösen versuchen, die gescheitert sind? Muss noch mehr Blut fließen?“ fragte die Veteranin der Befreiungskrieges gegen Frankreich und Witwe eines der sechs militärischen Anführer der Nationalen Befreiungsarmee, Zohra Drif Bitat.