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Regierung Rajoy im Zeugenstand

Der ehemalige spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy verteidigte am Mittwoch vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid sein Vorgehen im Konflikt um das katalanische Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 ohne Wenn und Aber. Zwar bedauere er die Bilder der Gewalt, die um die Welt gingen, als die Polizei und Guardia Civil Wahllokale stürmten, machte aber die Organisatoren der Abstimmung dafür verantwortlich. „Die Verantwortung von politischen Führern ist es, solche Bilder zu vermeiden. (…) Wenn die Leute nicht zu einer illegalen Volksabstimmung gerufen worden wären, hätten weder Sie noch wir diese Bilder sehen müssen“, antwortete er einem der Verteidiger der 12 angeklagten Politiker und Aktivisten, die für die Unabhängigkeit Kataloniens eintreten.

Rajoy ist einer der ersten von rund 600 Zeugen im Mammutprozess wegen „Rebellion“, „Aufstand“ und „Veruntreuung öffentlicher Gelder“. Den Angeklagten – unter ihnen ein Großteil der damaligen katalanischen Regierung – drohen bis zu 25 Jahre Haft.

„Sie waren sich im Klaren darüber, dass ich die nationale Souveränität nie abwickeln würde“, verklärte der konservative Rajoy, der von Dezember 2011 bis Juni 2018 Spanien regierte. Spanien sei das, „was alle Spanier wollen“ und nicht das, was eine Teil versuche daraus zu machen. Die Regierung Rajoy hatte 6.000 zusätzliche Polizeibeamte nach Katalonien entsandt, um die Abstimmung zu verhindern.

Die Staatsanwaltschaft versuchte mit der Vernehmung Rajoys ihre These der „Rebellion“, was laut spanischem Gesetz eine organisierte gewaltsame Erhebung ist, zu untermauern. Rajoy sprach viel von „Ausnahmesituation“ und einem „Gewaltklima“ mit „Einschüchterung von Bürgermeistern“, die gegen die Unabhängigkeit waren. Auf entsprechende Anzeigen befragt, musste er passen. Er habe dies, „aus der Presse“ erfahren.

Rajoy verwies immer wieder abwechselnd auf seine Zeitungslektüre und auf Informationen seiner Stellvertreterin Soraya Sáenz de Santamaría. „Das in Katalonien war eine gewaltsame Hetzkampagne“, erklärte diese in ihrer Vernehmung. In den Wochen vor dem Referendum habe es „regelmässige gewaltsame Vorfälle“ gegeben. Als Quelle verwies sie auf den Regierungsdelegierten in Katalonien und „die Bilder, die wir alle im Fernsehen sehen konnten“. Das Ganze hat nur einen Haken. Die Aufnahmen, die in jenen Tage um die Welt gingen, zeigten friedliche Menschen in Wahllokalen, die von der Polizei brutalst zusammengeschlagen wurden, ohne sich zu wehren. Die Bilanz 1.000 Verletzte. Sáenz de Santamaría freilich sieht dies anders. Für sie waren die Wähler „eine menschliche Mauer“.

Sáenz de Santamaría verteidigte die Zwangsverwaltung Kataloniens mit Hilfe des Verfassungsartikels 155. „Der Belagerungszustand oder Ausnahmezustand in Katalonien wurde nicht aktiviert, um die Bürgerrechte nicht einzuschränken“, erklärte sie, welche Alternativen für die Regierung auf dem Tisch waren, nachdem das katalanische Parlament die Unabhängigkeit abgestimmt hatte. Dies sei kein symbolischer Akt gewesen, widersprach Sáenz de Santamaría den Verteidigern. Auf die Frage, ob ihr klar gewesen sei, dass die Unabhängigkeit, die das katalanische Parlament beschloss, nie im Amtsblatt veröffentlicht worden sei und somit nie wirksam geworden sei, antwortete Sáenz de Santamaría erst nach mehreren Nachfragen durch den Vorsitzenden Richter Manuel Marchena selbst mit: „Das weiss ich nicht.“

Auch in Sachen „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ fällt der Staatsanwaltschaft die Beweisführung nicht leicht. Der ehemalige Finanzminister Cristobál Montoro erklärte in seiner Zeugenaussage einmal mehr, dass er „alle Ausgaben der katalanischen Regierung streng kontrolliert“ habe. Auf mehrere Nachfragen schließlich fügte er hinzu: „Die Kontrolle kann per Betrug umgangen werden.“ Doch Belege dafür hatte Montoro keine vorzuweisen.

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