© 2019 Reiner Wandler

Der Politaktivist

Rachid Nekkaz ist der neue Star der algerischen Jugend. Der 47-jährige Politaktivist aus Frankreich will bei den Wahlen am kommenden 18. April Präsident im Heimatland seiner Eltern werden. Überall wo er auftaucht, um die 60.000 Unterschriften zu sammeln, die für eine Kandidatur notwendig sind, versammeln sich hunderte von Unterstützer. Sie jubeln ihm zu, tragen ihn auf den Schultern durch die Straßen und skandieren Parolen gegen die erneute Kandidatur des schwerkranken Staatschefs Abdelaziz Bouteflika, dem Kandidat der „Macht“, wie sie ihn nennen. Seit Wochen gehen überall im Lande die Menschen gegen eine fünfte Amtszeit Bouteflikas auf die Straße. Auch für dieses Wochenende sind erneute Proteste angekündigt.

Nekkaz, der für viele junge Algerier das moderne, erfolgreiche Leben führt, von dem sie nur träumen können, strickt an seinem Mythos als Rebell aus einfachen Verhältnissen. Er wuchs mit zehn Geschwistern in der Banlieu von Paris auf. Nach einem Geschichts- und Philosophiestudium an der Pariser Sorbonne, verdiente nach eigenen Angaben sein erstes großes Geld mit einem Internet-Start-Up, von dem keiner so genau weiß, was es denn machte. Anschließend ging er in die Immobilienbranche.

Bekannt wurde Nekkaz durch seine Auftritte unter anderem in Frankreich, der Schweiz und Dänemark. Dort bezahlte er die Bussgelder für Frauen, die trotz Verbot die in Teilen der islamischen Welt üblichen Burka trugen. Ausserdem protestierte er gegen die Strafverfolgung des Schweizer Islamwissenschaftlers Tariq Ramadan, der in Frankreich der Vergewaltigung beschuldigt wird. Seine Aktionen dokumentiert Nekkaz immer fein säuberlich in den sozialen Netzwerken. Heute folgen ihm 1,5 Millionen auf Facebook.

2007 versuchte der Politikaktivist ohne Parteibuch in Frankreich zum Präsidenten zu kandidieren. Er bekam die auch dort nötigen Unterschriften nicht zusammen. Es sei Druck auf politische Würdenträger ausgeübt worden, die ihm die Unterstützung zugesagt hätten, strickte er an seinem Mythos.

2014 versuchte er es dann erstmals in Algerien. Er gab dafür sogar seinen französischen Pass ab. Denn Doppelstaatsbürger dürfen sich in Algerien nicht zur Wahl stellen. Am Tag als er die 60.000 Unterschriften hätte einreichen müssen, konnte er diese nicht vorweisen. Der Lieferwagen, in dem sie sich befunden haben sollen, sei spurlos verschwunden, lautete dieses Mal die Entschuldigung. Der Mythos wuchs.

Wofür Nekkaz politisch steht, weiß keiner so genau zu sagen. Ausser dem Kampf gegen das Burkaverbot gibt es von ihm vor allem Erklärungen gegen die Korruption und die Mächtigen in der Heimat seiner Eltern. Im Vorwahlkampf 2014 machte sich das algerische Fernsehen über ihn lustig. Von einem Journalisten nach dem Text der Hymne befragt, die den leidvollen Kampf für die Unabhängigkeit von Frankreich preist, wusste er nur ein paar Halbsätze.

Jetzt sammelt er wieder, mit der Landesfahne um die Schultern. Zumindest machte er dies bis vor wenigen Tagen. Dann ließ er erklären, die Behörden hätten ihn unter eine Art Hausarrest gestellt. Ob dies stimmt, die algerische Presse weiß es nicht zu sagen.

Doch selbst wenn er die 60.000 Unterschriften zusammenbekommen sollte, ist es unwahrscheinlich dass Nekkaz tatsächlich gegen den greisen Bouteflika antreten wird. Denn seit 2016 gilt eine neue Bestimmung. Ein Kandidat um das höchste Amt im Staate muss zehn Jahre ununterbrochen in Algerien gelebt haben. Nekkaz erfüllt dies nicht./Foto: Nekkaz2019

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