© 2019 Reiner Wandler

Bouteflika, die Fünfte?

Annaba, Tiarit, Bejaia, Touggourt … in vielen algerischen Provinzstädten, vor allem im Zentrum und im Osten des Landes, fanden am Freitag Kundgebungen statt. Eine durchgestrichen 5 ziert die Transparente und Texttafeln. Die Protestierenden wollen eine fünfte Amtszeit für Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika verhindern. Dieser ist schwerkrank und lässt sich kaum noch an der Öffentlichkeit sehen. Dennoch bewirbt er sich bei den Wahlen am kommenden 18. April einmal mehr um das höchste Amt im Staate. In der Haupstadt Algier löste die Polizei am Morgen auch noch so kleine Anslammlungen sofort auf. Nach dem Freitagsgebet kam es zu Auseinandersetzungen. Die Polizei setzte Tränengas ein. Die Demonstranten warfen Steine.

Die Demonstrationen zu denen in den sozialen Netzwerken am heutigen Freitag und auch für Sonntag gerufen wird, sind der vorläufige Höhepunkt einer Reihe spontaner Proteste, die nicht abreisen, seit Bouteflika vor zwei Wochen seine erneute Kandidatur verkünden ließ. Selbst im Ausland machen die algerischen Emigranten mobil. „Ein Wind des Zorns bläst durchs Land“, titelt die wichtigste francophone Tageszeitung El Watan.

Der 81-jährige Abdelaziz Bouteflika sitzt seit einem Schlaganfall 2013 im Rollstuhl. Internationale Gäste empfängt Bouteflika nur noch selten. Und er reist schon lange nicht mehr. Wenn überhaupt, lässt er sich in der Präsidentenmaschine nach Frankreich oder die Schweiz zu Behandlungen und Untersuchungen bringen. Am Sonntag fliegt er in eine Klinik nach Genf, just wenn zu Hause seine Gegner auf die Straße gehen werden. Um den Protesten etwas entgegenzusetzten, zeigte das algerische Staatsfernsehen am Donnerstag kurze Aufnahmen des Präsidenten, bei der Vereidigung des neuen Präsidenten des Verfassungsrates. Wie immer ohne Ton. Denn das Sprechen fällt Bouteflika schwer.

Auf den Wahlplakaten freilich ist ein ganz anderer Mann abgebildet. Fester Blick, entschlossener Gesichtsausdruck – es ist ein Bild des Bouteflikas, der 1999 zum ersten Mal gewählt wurde und damals den blutigen Konflikt zwischen Islamisten und Armee beendete, in dem er eine Amnestie erließ und die Kämpfer aus den Bergen wieder ins zivile Leben zurückholte.

„Natürlich habe ich nicht die gleiche körperliche Kraft wie früher. Das habe ich nie vor unseren Menschen versteckt. Aber der unerschütterliche Wunsch, dem Vaterland zu dienen, hat mich nie verlassen und erlaubt es mir, die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit den gesundheitlichen Problem zu überwinden, denen jeder eines Tages begegnen kann“, heisst es in der mehreren Seiten lange schriftlichen Erklärung, die Bouteflika verbreiten ließ, als er seine erneute Kandidatur öffentlich machte.

„Staatsstreich“ nennen seine Gegner die Bewerbung um eine fünfte Amtszeit in ihren Aufrufen in den sozialen Netzwerken. Bereits bei der letzten Kandidatur vor fünf Jahren war Bouteflika schwerkrank und ließ sich dennoch erneut ins Amt des Staatschefs wählen. Die mächtige ehemalige Einheitspartei FLN, wichtige Teile der Armee und der wirtschaftlichen Eliten unterstützten Bouteflika damals wie heute.

Es sind diese Eliten, die keine Alternative zu Bouteflika haben. Der Mann im Rollstuhl, der sich bereits in den ersten Jahren der Unabhängigkeit als Aussenminister einen Namen machte, hält die unterschiedlichen Familien dessen, was die Algerier „die Macht“, nennen zusammen. In seinen Schatten lenken sie das Land und teilen sich die Einflusssphären untereinander auf. Der Mann im Rollstuhl ist eine Garant für ein sensibles Gleichgewicht.

Die Seilschaften überall im Land haben bisher immer dafür sorgen können, dass der Kandidat der Macht, wie in den letzten 20 Jahren Bouteflika, gegen eine schwache und zersplitterte Opposition gewinnt. Auch dieses Mal wird sich daran wenig ändern. 94 Kandidaten haben ihre Bewerbungsbögen abgeholt und sind jetzt dabei Unterschriften zu sammeln, damit sie am 18. April tatsächlich antreten können.

Bis vor wenigen Wochen waren sich die meisten Algerier darin einig, dass der eigentliche starke Mann im Staat des Präsidenten jüngerer Bruder und Berater Said Bouteflika ist. Doch auch dieser hat sich in den letzten Monaten kaum noch sehen lassen. Die Presse will nun von einer schweren Krebserkrankung erfahren haben. Said Bouteflika sei in Frankreich in Behandlung. Die Frage nach den tatsächlichen Machtstrukturen werden durch dieses Szenario nicht einfacher zu beantworten.

Was bisher geschah: