Interview mit Jordi Cuixart, dem inhaftierten Vorsitzenden der katalanischen Kulturvereins Òmnium Cultural. Das Interview wurde am 13. Dezember 2018 in der Haftanstalt Lledoners eine Autostunde westlich von Barcelona, geführt.
Sie sind seit 14 Monaten in Untersuchungshaft. Wie geht es Ihnen?
Dafür, dass ich eingesperrt bin, gut. Ich fühle mich geistig frei und bin zufrieden mit mir selbst. Das ist wichtig. Ich bin hier, weil ich gegen die Einschränkung der Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten im heutigen Spanien demonstriert habe.
Wie sieht Ihr Leben hier aus?
Haft heisst vor allem Routine, die es zu brechen und zu füllen gilt. Ich meditiere, arbeite in der Töpferwerkstatt, treibe Sport. Ich schreibe, beantworte schriftliche Interviews und lese viel. Ich mache auch meine Arbeit als Vorsitzender von Òmnium Cultural weiter, soweit das geht. Zudem pflege ich Sozialkontakte, sowohl mit den restlichen politischen Gefangenen als auch mit den sozialen Gefangenen. Die Kontakte nach draussen sind sehr eingeschränkt. Wir dürfen nur sechs Mal die Woche für jeweils acht Minuten telefonieren; einmal die Woche mit Trennscheibe Besuch empfangen; zwei mal im Monat von Frau und Kind in einem Zimmer ohne Trennscheibe und Überwachung.
Wie reagieren die sozialen Gefangenen auf Sie?
Gut, sowohl in Madrid als auch hier. Einer der interessantesten Aspekte in der Haft sind die unterschiedlichen Leute, die du kennenlernst. Wir sind rund 100 Gefangenen im Trakt, 700 in der gesamten Haftanstalt. Unser Trakt gilt als wenig konfliktiv. Aber natürlich gibt es Leute, die wegen sehr schwerer Verbrechen einsitzen. Doch mit der Zeit fragst Du nicht mehr, warum jemand hier ist. Sie sind verurteilt worden, wer bis Du, um erneut über sie zu urteilen?
Es geht darum miteinander auszukommen. Die Zelle ist deine Wohnung, die Abteilung dein Stadtteil und die Haftanstalt deine Stadt. Nur wenn Du dazu beiträgst, dass dieses soziale Gefüge funktioniert, die Beziehungen mit den restlichen Gefangenen gut sind, kannst Du selbst stark sein.
Was vermissen Sie am meisten?
Meinen 20 Monate alten Sohn Amat. In den letzten 400 Tagen habe ich ihn zusammengerechnet gerade einmal vier Tage um mich gehabt. Und dafür musste er mit meiner Frau erst nach Madrid und jetzt hier her reisen. Das waren bisher 50.000 Kilometer. Ich frage mich, was für ein schweres Verbrechen habe ich begangen, damit mein Sohn so etwas durchmachen muss?
Ganz einfach: Aufstand und Rebellion.
So steht es in der Anklageschrift. Allerdings hat das Gericht in Schleswig-Holstein mit den spanischen Akten in der Hand im Auslieferungsverfahren gegen den katalanischen Ex-Präsidenten Carles Puigdemont keinerlei Indizien für diese Tatbestände gesehen. Und das ist logisch. Wir haben am 20. September friedlich gegen die Durchsuchung mehrerer Regierungsgebäude demonstriert. Für Rebellion ist Waffengewalt notwendig, und für Aufstandes braucht es auch gewalttätiges, organisiertes Vorgehen. Es gab keine Gewalt und wir haben auch nie zur Gewalt gerufen, ganz im Gegenteil. Wir haben nur das Recht auf Meinungsfreiheit und auf Demonstrationsfreiheit verteidigt. Wenn überhaupt können sie uns zivilen Ungehorsam vorwerfen, aber darauf steht keine Gefängnisstrafe und schon gar keine Untersuchungshaft.
Sie plädieren also auf unschuldig?
Wir fordern Freispruch. Das ganze ist juristisch nicht haltbar. Was mit am meisten Sorgen bereitet, ist die Haltung der großen Parteien des Landes und der Monarchie. Sie unterstützen dieses juristisch fragwürdige Konstrukt. Wir sollen um jeden Preis zu langen Haftstrafen verurteilt werden. Die Forderung nach dem Recht über die Zukunft Kataloniens zu entscheiden soll kriminalisiert werden. Sie wollen der Bevölkerung Angst machen.
Sie glauben also fest an einen Schuldspruch?
Unsere Rechte wurden während des gesamten Untersuchungsverfahrens verletzt, warum soll das jetzt bei Hauptverfahren anders sein? Was hier in Spanien geschieht ist – in kleinerem Massstab – das gleiche wie in der Türkei. Es geht nicht nur um uns. Hier werden mit dem sogenannten Knebelgesetz mittlerweile 20.000 Menschen verfolgt. Rapper für ihre Texte, Twitteraktivisten für ihre Nachrichten, Puppenspieler wegen ihrer Stücke … Vor wenigen Tagen wurden gar die Computer und Handys von Journalisten auf Mallorca beschlagnahmt, weil sie einen Korruptionsfall recherchierten und sich weigerten ihre Quellen preis zu geben. Die Freiheiten in Spanien haben in den letzten Jahren schweren Schaden erlitten. Die Gesellschaft triftet nach rechts ab.
Sie sprechen von zivilem Ungehorsam? Wie weit darf der gehen?
Der zivile Ungehorsam muss gewaltfrei sein, und er muss dem Allgemeininteresse dienen. Geht es gegen ungerechte Gesetzte oder gegen ungerechte richterliche Entscheidungen, dann ist der Ungehorsam gerechtfertigt.
Ist es auch ziviler Ungehorsam, trotz Verbot ein Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten?
Es gibt kein Gesetz, das die Organisierung eines Referendums oder die Teilnahme daran unter Strafe stellen würde. Das Verfassungsgericht kann eine solche Befragung untersagen, eine Straftat ist es dennoch nicht. Ausserdem haben wir von Òmnium das Referendum nicht organisiert. Wir haben zu Demonstrationen im Vorfeld und am Tag des Referendums zu Teilnahme aufgerufen. Die Meinung im öffentlichen Raum zum Ausdruck zu bringen, kann kein Verbrechen sein. Das ist in einer demokratischen Gesellschaft durch das Recht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit geschützt. Die Gewalt bei der Abstimmung am 1. Oktober ging von der Polizei aus. Die Menschen leisteten nur passiven Widerstand. Vergleichen sie den 1. Oktober mit dem was gerade in Frankreich geschieht, oder den Protesten bei den Castortransporten in Deutschland; selbst das ist weder Rebellion noch Aufstand.
Neun Inhaftierte, sieben im Ausland, 18 Angeklagte, mehrere Hundert Ermittlungsverfahren wegen Durchführung der Abstimmung … War es das wert?
Würden sie das gleiche die Widerstandskämpfer gegen den Faschismus fragen? Würden sie Rosa Luxemburg, Vaclav Havel oder Lech Walesa fragen, ob es für etwas gut war, dass sie ins Gefängnis mussten? Wir kämpfen für die selben Ziele wie sie. Es geht nicht nur um die Unabhängigkeit, sondern um Bürgerechte in Katalonien, Spanien und Europa. Das Verfahren gegen uns wird Auswirkungen auf die Rechte und Freiheiten für alle Bürger in Spanien in den kommenden Jahren haben.
Doch die Unabhängigkeit ist soweit entfernt wie zuvor.
Es ist wichtig, die Debatte zu zentrieren. Wo steht geschrieben, dass die Katalanen nicht das gleiche Recht haben über ihre Zukunft zu entscheiden, wie etwa die Schotten? Ist das ein göttliches Gesetz? Sind wir etwa für immer Minderjährige? Wer hat das Recht dies zu entscheiden. In Europa werden Konflikte an den Urnen gelöst, warum nicht hier? Die Regierung in Madrid ist nicht in der Lage und Willens den Konflikt politisch zu lösen. Sie haben Katalonien eine Zeit lang unter Zwangsverwaltung gestellt, die eigene Wirtschaft boykottiert. Das Ganze ist nicht nur für Katalonien eine Katastrophe, sondern für ganz Spanien.
Warum die Unabhängigkeit?
Katalonien ist eine der reichsten Regionen Europas und gleichzeitig haben wir eine der größten Armutsraten. Das was Katalonien an den Spanischen Staat abführt, entspricht dem, was Hessen, Baden-Württemberg und Bayern zusammen abführen. Über 100 soziale Gesetzte des katalanischen Parlament – etwa gegen Energiearmut und Zwangsräumungen – wurden vom spanischen Verfassungsgericht annulliert. Solange das so ist, werden wir unsere sozialen Probleme nicht lösen können. Darum geht es und nicht um Fahnen.
Im restlichen Spanien werfen Ihnen viele vor, dass Sie die alten Gespenster wieder heraufbeschworen haben. Die rechtsradikale VOX erzielt dank einer harten zentralstaatlichen Linie immer mehr Stimmen.
Wie sagt Rosa Luxemburg: ‚Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht.‘ Es ist mehr als schäbig uns zu beschuldigen, dass wir die faschistische Bestie geschaffen haben. Sie war immer da. Wir Katalanen sind die ersten Opfer des Faschismus. In Europa wurde nur ein demokratisch gewählter, amtierender Präsident hingerichtet. Das war 1940 der Katalane Lluis Companys nachdem ihn die Gestapo an Franco ausgeliefert hat. Wir fordern Solidarität statt Vorhaltungen.
Nach dem Regierungswechsel in Madrid im Juni sah alles nach Tauwetter aus. Jetzt kommen wieder harte Worte auf beiden Seiten. Was ist schief gelaufen?
Schöne Worte reichen nicht. Wir wollen Taten sehen und die blieben bisher aus. Ich bin mir sicher, dass es bei den regierenden Sozialisten viele gibt, die eine politische Lösung wollen. Aber es gibt auch andere, die das torpedieren. Zum Beispiel der Aussenminister Josep Borrell, der auf den Demonstrationen für die Einheit Spaniens sprach. Dort waren auch Faschisten mit ihren Fahnen anwesend. Können sie sich einen SPD-Minister vorstellen, der vor Hakenkreuzfahnen spricht?
Was wird die Zukunft für Katalonien bringen?
Kurzfristig bin ich wenig optimistisch. Die Pattsituation wird weiter bestehen. Mittelfrististig werden wir uns zusammensetzen müssen, um den Konflikt politisch zu regeln. Und langfristig wird sich zeigen, dass sich im 21. Jahrhundert niemand über den anderen stellen kann. Der Feudalismus im Mittelalter wurde bezwungen, ebenso die autoritären Regime in Europa im vergangenen Jahrhundert. Spanien wird die Monarchie bezwingen. Dann wird Katalonien das sein, was die Katalanen wollen. Wir haben die Franco-Diktatur überstanden. Wir werden auch diese Epoche der Einschränkung fundamentaler Rechte in Spanien überstehen.
Und ihre eigene Zukunft?
Im Gefängnis. Aber das beunruhigt mich nicht. Mein vorrangiges Ziel ist es nicht, frei zu kommen, sondern den politischen Konflikt zu lösen. Ich weiß, dass ich meinen Sohn noch lange nicht um mich haben werde. Aber das größte Geschenk, das ich ihm machen kann, ist der Kampf für Rechte und Freiheiten in Europa.