Die spanische Rettungsdienste kennen die Stimme von Helena Maleno: „Zwei Boote in der Meerenge von Gibraltar mit 33 und 45 Personen an Bord brauchen Hilfe.“ So, oder so ähnlich lauten die Anrufe der 47-jährigen spanischen Menschenrechtsaktivistin, Journalisten und Schriftstellerin, die seit 15 Jahren im marokkanischen Tanger lebt. Vieler derer, die die gefährliche Überfahrt von Afrika nach Europa wagen wissen um Maleno und haben ihre Nummer dabei. Wenn alles schiefgeht, rufen sie die Spanierin an. Denn sie ist bekannt dafür, dass sie schnell reagiert, die sozialen Netzwerke nutzt und alles in Bewegung setzt, damit die spanischen und marokkanischen Rettungsdienste ausrücken. Jetzt droht der Gründerin der NGO „Caminando Fronteras“ (Grenzgänge) lebenslänglich Haft. Denn die marokkanische Justiz ermittelt gegen Maleno wegen Verstoß gegen das Einwanderungsgesetz und wegen des Verdachtes, Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein.
Am 27. Dezember stand sie erstmals vor dem Ermittlungsrichter in Tanger und am 31. Januar ist sie erneut geladen. „Ich werde Dokumente vorlegen, die beweisen, dass ich für unterschiedliche NGOs tätig bin und nichts mit Schlepperorganisationen zu tun habe“, erklärt Maleno, die unter anderem für die Vereinten Nationen (UNO), Women´s Link Worldwide und Save the Children arbeitete sowie Kurse zum Thema Menschenhandel für Richter und Staatsanwälte in Spanien gibt.
Was Maleno am meisten verwundert: Die Ermittlungen in Marokko gehen auf ein polizeiliches Dossier aus Spanien zurück. Dort ermittelte die Sondereinheit für illegale Einwanderung der Nationalpolizei, die UCRIF mit Unterstützung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex ab 2012 gegen sie. Die spanische Staatsanwaltschaft jedoch konnte keine kriminelle Motive hinter Malenos Arbeit sehen und stellte die Ermittlungen 2017 ein.
Marokko hatte während der polizeilichen Untersuchungen Amtshilfe geleistet und das Telefon Malenos abgehört. 2015 verlangten die Marokkaner Akteneinsicht und bekamen diese wohl auch. Jetzt nutzt die marokkansiche Justiz das Dossier von damals für die eigen Ermittlungen. Doch bis heute ist unklar ist, wer die Akten ausgehändigt hat. „Eines steht fest: Die Unterlagen wurden nicht über den regulären Amtsweg weitergeleitet“, erklärt Malenos Anwältin Gema Fernández. Dieser sieht vor, dass ein spezieller Richter an der Botschaft seinen Kollegen im jeweiligen anderen Land um Akte bittet. Von dort geht die Anfrage an die jeweilige Justiz. „Die Aussenbehörden in Spanien wissen nichts von einem solchen Vorgang“, sagt Fernández. Die Vermutung liege deshalb nahe, dass die Akten unter der Hand von Polizei an Polizei gingen.
„Die spanische Polizei versucht mit Hilfe der marokkanischen Justiz ein Exempel zu statuieren“, ist sich Maleno sicher. Es gehe darum, die „Solidarität zu kriminalisieren“ und andere davon abzuhalten „Leben auf dem Mittelmeer zu retten“. Alleine 2017 ertranken über 3.000 Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer. Davon waren 233 auf dem Weg nach Spanien.
„In den weitergeleiteten Akten werde ich als führende Schleppern bezeichnet“, sagt sie. Kommt es bei Schlepperaktionen zu Toten, dann verschärft dies nach marokkanischem Recht den Tatbestand der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung noch. Die Höchststrafe ist dann lebenslänglich. Maleno könnte zur Last gelegt werden, dass einige der Boote, auf die sie in ihren Anrufen aufmerksam machte, nicht gerettet werden konnten.
„Es ist unglaublich, dass ein solcher Angriff auf eine Menschenrechtsaktivistin von Behörden eines europäischen Landes ausgehen“, sagt Maleno, die Angesichts des Verfahrens von 1000 NGOs und 200 Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur Unterstützung erhält.
Maleno, die mit mehreren Menschenrechtspreisen ausgezeichnet wurde, war immer wieder Angriffen ausgesetzt. Vor wenigen Jahren wurde sie in Marokko von einer aufgebrachten Menge bedroht, die in einem Stadtteil von Tanger auf schwarzafrikanische Einwanderer Jagd machten. Vergangenen Sommer wurde ihr ein Foto einer geladenen Pistole zugeschickt. „Wir raten Ihnen zu schweigen, oder Sie werden sterben. Sie sind unbequem für die Behörden“, stand darauf zu lesen. Im Vorfeld dieses Briefes hatten Mitglieder der spanischen Polizeigewerkschaft auf den sozialen Netzwerken frauenfeindliche Beleidigungen und Vergewaltigungsdrohungen gegen Maleno verbreitet. Der Anlass: Maleno hatte – wie übrigens mittlerweile auch die Europäische Union – die unrechtmässigen polizeilichen Abschiebungen am Grenzzaun in Melilla kritisiert.