© 2017 Reiner Wandler

Spanischer Maulkorb

 

„Der Regierung geht es darum, systematisch Angst zu verbreiten“, erklärt die Sprecherin der Bürgerrechtsorganisation „NoSomosDelito“ (Wir sind kein Verbrechen), Mónica Hidalgo. Dieser Tage wird das spanische „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ zwei Jahre alt. „Knebelgesetz“ nennt es der Volksmund. Denn das Werk des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy verfolgt unliebsame Geister mit Bussgeldbescheiden. Aufruf und Teilnahme an spontanen Demonstrationen, Proteste, die wichtige Infrastrukturen blockiere oder Verbreitung von Fotos von Polizeibeamten beim Einsatz können zwischen 100 und 600.000 Euro kosten. Ein ebenfalls 2015 mit den Stimmen der beiden großen Parteien verabschiedetes Anti-Dschihadisten-Gesetz, dient dazu, die sozialen Netzwerke auf mutmassliche „Verherrlichung des Terrorismus“ zu durchsuchen.

„Ständige Repression auf niedriger Ebene“, nennt Hidalgo das, was da geschieht. Alleine in den ersten sieben Monaten nach Inkrafttreten des „Knebelgesetzes“ wurden 40.000 Bussgelder verhängt. Und Dutzende Spanier mussten wegen ihrer online-Aktivitäten vor Gericht.

Für Schlagzeilen sorgen vor allem Strafen und Gerichtsverfahren gegen Journalisten, Musiker oder Twitteraktivisten. Der jüngste Fall ist der von Cassandra Vera Paz. Die 21-jährige Geschichtsstudentin aus dem südspanischen Murcia verbreitete auf Twitter Witze über den 1973 von ETA getöteten Nachfolger des spanischen Diktator Francisco Franco, Admiral Luis Carrero Blanco. Die Bombe schleuderte das gepanzerte Fahrzeug von Carrero Blanco über ein fünfstöckiges Gebäude in der Madrider Innenstadt. „Kissinger schenkte Carrero Blanco ein Grundstück auf dem Mond. ETA zahlte ihm die Reise“, lautete einer der Witze, die Vera Paz vor der Audiencia Nacional ein Verfahren wegen „Verherrlichung des Terrorismus“ einbrachten.

Die Staatsanwaltschaft forderte anfänglich zwei Jahre und sechs Monate Haft. Mittlerweile wurde das geforderte Strafmaß auf ein Jahr gesenkt. „Dass ich wegen schwarzem Humor vor dem gleichen Sondergericht stehe, wie mutmassliche Terroristen, Drogenbosse oder die der Korruption im großen Stile Angeklagten ist unbegreiflich. Witze über Carrero Blanco sind in Spanien total normal“, erklärt die junge Frau, deren Twittername @kira_95 lautet. Auf Volksfesten – vor allem im Baskenland – ist es bis heute üblich, ein Lied zur Melodie einer Kindersendung zu singen, das „den Flug“ von Carrero Blanco beschreibt.

Die junge Frau ist nicht die einzige, auf die das Anti-Dschihadisten-Gesetz angewandt wird. Der Rapper Valtónyc wurde wegen seiner Texte gegen die Monarchie zu drei ein halb Jahren Haft verurteilt. In Madrid wurde Puppenspieler verhaftet, die sich satirisch mit dem Thema Polizei und ETA auseinandersetzten. Der Sänger der Band Def con Dos, César Strawberry, erhielt wegen schwarzem Humor im Netz – darunter ebenfalls Witze über Carrero Blanco – eine einjährige Haftstrafe. „Das Urteil verstößt gegen meine elementarsten Rechte“, beschwert sich der Sänger, der für seine sarkastischen und ironischen Texte bekannt ist.

Auch die Presse geht bei so viel Verfolgungswut nicht leer aus. Axier López war der erste Journalist, der mit dem „Knebelgesetz“ Bekanntschaft machte. Der Redakteur der ältesten Zeitschrift in baskischer Sprache, Argia, veröffentlichte auf Twitter eine Foto, das zeigt, wie Mitglieder einer baskischen Jugendorganisation abgeführt werden. Im Bussgeldbescheid über 601 Euro, wird ihm vorgeworfen, mit dem Foto das Leben der Polizeibeamte und deren Familien zu gefährden. „ETA hat vor fünf Jahre den bewaffneten Kampf beendet“, wundert sich der Journalist über die Begründung. „Die Presse ist unter anderem dazu da, darüber zu wachen, was die Autoritäten machen.“ López legte Widerspruch gegen den Bussgeldbescheid ein. „Eine Woche vor dem Gerichtstermin zogen die Behörden das Bussgeld zurück, mit der Begründung, es sei ihnen ein Verfahrensfehler unterlaufen“, sagt López.

Ein Fall aus Madrid hat fast schon satirische Züge. Eine junge Frau wurde von der Polizei gestoppt und mit e600 Euro Bussgeld . Ihr Verbrechen: Sie trug eine Tasche auf der eine Katze abgebildet war. Darüber stand zu lesen „A.C.A.B.“ und darunter „All cats are beautiful“. Die Beamten begründete ihr Vorgehen, damit, dass alle Welt wisse, dass A.C.A.B. „All cops are bastards“ bedeute und damit sei die Taschen eine Beleidigung der Polizei.

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Meine Meinung

Ruhe im Saal

Spanien verfolgt die Empörten in der realen und der virtuellen Welt. Was seit zwei Jahren unter dem „Gesetz zur Sicherheit der Bürger“ – dem „Knebelgesetz“ – und dem „Anti-Dschihadisten-Gesetz“ geschieht, erinnert mehr an Länder wie die Türkei oder Russland, als an ein Mitglied der Europäischen Union. Spontane Proteste werden mit hohen Geldstrafen belegt, unliebsame Tweets können zu Haftstrafen führen.

Das Knebelgesetz wurde zu einer Zeit verabschiedet als alleine in Madrid pro Jahr mehr als 3.000 oft spontane Demonstrationen und Protestaktionen gegen Sparpolitik, Wohnungsräumungen und Korruption stattfanden. Den Konservativen von Ministerpräsident Mariano Rajoy wurde dies zu viel. Mit ihrer damaligen absoluten Mehrheit stimmte sie das „Knebelgesetz“ durch. Zehntausende wurden seither mit Geldstrafen belegt.

Das „Anti-Dschihadisten-Gesetz“ wurde nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris verabschiedet. Ihm zu grunde liegt ein Pakt der Konservativen Partido Popular (PP), der sozialistischen PSOE und der rechtliberalen Ciudadanos. Podemos sollte isoliert werden, um zu zeigen, dass mit der Protestpartei die Sicherheit Gefahr läuft. Podemos weigerte sich tatsächlich mitzumachen und verwies auf eben das, was jetzt mit Hilfe diesen Paktes geschieht: Die Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Seit Jahrzehnten wird von den Konservativen jede radikale Kritik in die Ecke des Terrorismus der baskischen Separatisten von ETA gedrängt. Obwohl ETA längst die Waffen gestreckt hat, geschieht das auch weiterhin mit eben jenem Anti-Dschihadisten-Pakt, der „Verherrlichung des Terrorismus“ unter Strafe stellt.

Die Regierung versucht damit Angst zu verbreiten. Zum anderen lautet die Nachricht an die Bevölkerung: „Schaut her, das sind alles gefährliche Radikale.“ Rajoy versucht verzweifelt die Uhr zurückzudrehen in Zeiten vor den Protesten der Empörten und vor Podemos.

Was bisher geschah: