© 2015 Reiner Wandler

Krieg der Fahnen

 

Wer Spaniens Presse liest, bekommt den Eindruck, das Land auf der Iberischen Halbinsel lebe im Ausnahmezustand. Valencias Erzbischof ruft zum Gebet für die Einheit Spaniens. Der Zentralbankchef warnt vor einer Beschränkung des Bargeldumlaufs. Unternehmer treffen sich in Barcelona mit Geheimdienstmitarbeitern. Regierungschef Mariano Rajoy lässt im Eilverfahren die Kompetenzen des Verfassungsgerichtes ändern. Dies soll künftig Regionalregierungen des Amtes entheben können. Der Grund für die ganze Aufregung: Am Sonntag wird in Katalonien ein neues Regionalparlament und eine neue Autonomieregierung gewählt. Doch es ist dieses Mal kein normaler Urnengang. Es geht um die Unabhängigkeit der reichen Region im spanischen Nordosten.

Eine Liste mit dem Namen „Gemeinsam für das Ja“, auf der neben den regierenden konservativen Nationalisten der bisher regierenden Demokratische Konvergenz Kataloniens (CDC), Politiker der separatistische Republikanische Linke Kataloniens (ERC) sowie viele bekannte Persönlichkeiten aus Zivilgesellschaft, Kultur und Sport vertreten sind, hat nur einen Programmpunkt: Die Unabhängigkeit Kataloniens. Sie streben die absolute Mehrheit im Parlament an, um dann die Loslösung von Spanien umzusetzen. Der Urnengang wird damit zu einer Art Referendum, das so wie in Schottland nie stattfinden konnte, da dies die spanische Verfassung nicht zulässt und die Regierung in Madrid dies auch nicht ändern will.

jxs

Artur Mas (rechts) bei der Vorstellung der Liste: „Gemeinsam für das Ja“

Im Notfall solle der Bruch mit Spanien auch einseitig vollzogen werden, so der katalanische Regierungschef Artur Mas. Zwar strebe er eine Verhandlungslösung für den Weg zur Unabhängigkeit an, doch wenn sich Madrid weiterhin stur stelle, werde Katalonien dennoch gehen und nicht einmal seinen Teil an den spanischen Staatsschulden begleichen. Die Umfragen gehen von einem knappen Sieg der Separatisten aus. „Gemeinsam für das Ja“ wird zwar kaum die Hälfte der Parlamentssitze erreichen, doch können Mas und die Seinigen auf die Unterstützung einer weiteren separatistischen Liste, der linksradikalen CUP setzen.

Dem Block der Separatisten stehen die in Madrid regierende Partido Popular (PP), der katalanische Ableger der sozialistische PSOE und die vor neun Jahren als antinationalistische Partei entstandene Ciudadanos gegenüber. Katalonien würde mit der Unabhängigkeit auch die Europäische Union und den Euro verlassen, heisst eines der Drohargumente, die Spaniens Regierungschef Rajoy und sein Zentralbankchef in den vergangenen Tagen immer wieder anführen. Die Wirtschaft Kataloniens, die Renten, die Bankguthaben, einfach alles stände dann auf dem Spiel. Auch der Chef der Sozialisten, Pedro Sánchez warnt mit einer überdimensionalen Spanienfahne auf der Bühne seine Anhänger vor dem Ruin für ganz Spanien. Katalonien ist die reichste Region des Landes.

Die Emotionen schlagen hoch. Der Katalane Mas weiss dies geschickt zu nutzen. Seine gesamte Argumentation lebt vom ständigen Konflikt mit Madrid. „Große Chefs kommen in katalanisches Reservat um zu sagen, wie wählen“, erklärte der Nationalist auf einer seiner Wahlkampfveranstaltungen. „Eingeborene zeigen große Stinkefinge“, fügte er unter Applaus hinzu.

Nur eine Liste möchte den Krieg um die Fahnen nicht mitmachen, „Katalonien, ja man kann” (CQSEP) – ein Bündnis rund um die neue Protestpartei Podemos sowie regionalen Postkommunisten und Grüne. Deren Spitzenkandidat, der historischen Aktivist aus der Bewegung der Nachbarschaftsvereine in den Arbeiterstadtteilen und Vororten Barcelonas, Lluís Rabell, redet nicht von der Unabhängigkeit sondern von den sozialen Zuständen in Katalonien, wo die Autonomieregierung und Mas die gleiche Spar- und Privatisierungspolitik betrieben hat, wie Rajoy in Madrid. „Jede vierte Zwangsräumung von Wohnungen findet in Katalonien statt, 21 Prozent der Katalanen leben an oder unter der Armutsgrenze“, zählt Rabell gerne die Konsequenzen auf.

Er wirft Mas vor sich hinter den Fahne zu verstecken, um nicht für seine traurige Bilanz zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ob Bankenrettung oder die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Parteigänger Rajoys und Mas‘ stimmten die wichtigsten Massnahmen gemeinsam durchs spanische Parlament. Eine Stimme für ihn sei eine doppelte Stimme. „Gegen Mas in Barcelona und gegen Rajoy in Madrid“, erklärt Rabell, der bei seinen Auftritten von Podemos-Chef Pablo Iglesias unterstützt wird. Dieser tritt für eine Volksabstimmung in Katalonien über die Unabhängigkeit ein, will aber gleichzeitig “dass die Katalanen bleiben.” CQSEP hofft auf den zweiten Platz bei den Wahlen am Sonntag./Foto: CDC

Was bisher geschah: