„2015 stehen wir vor der Herausforderung, die Wahlen zu gewinnen und die Regierung zu stellen“, erklärt Pablo Iglesias selbstsicher. Ein Satz wie dieser ist für Oppositionspolitiker nichts ungewöhnliches. Nicht so in diesem Fall. Es spricht ein gerade einmal 36-jähriger Politikprofessor, dessen Formation Podemos („Wir Können“) nur etwas mehr als ein Jahr alt ist. Mit den Umfragen in der Hand darf Iglesias tatsächlich hoffen. Podemos liegt seit vergangenen Herbst mal auf Platz 1 mal auf Platz 2. Egal wo Iglesias auftritt, er füllt Plätze und Säle. Seine TV-Interviews erzielen Zuschauerrekorde. Podemos ist eine Erfolgsgeschichte, wie sie Spanien – und wohl auch das restliche Europa – noch nicht gesehen hat.
„Wir sind nicht nur Konsequenz unserer eigenen politischen Erfolge, sondern sicherlich auch das Ergebnis des Scheiterns dessen, wie in Europa regiert wird“, erklärt Iglesias. Der aus TV-Talkshows bekannte, wortgewandte junge Mann stellte die Idee zu Podemos Ende Januar 2014 in einem alternativen Theater in Madrid vor. Über Nacht gewann die Partei 50.000 Unterstützer, bei den Europawahlen im Mai 1,2 Millionen Stimmen und 5 Abgeordnete. Anstatt dies zu feiern, trat Iglesias vor seine Anhänger und erklärte: „Wir geben uns mit dem heutigen Erfolg nicht zufrieden. Es werden weiterhin sechs Millionen arbeitslos sein, sie werden weiterhin Familien zwangsräumen und sie werden weiterhin privatisieren. (…) Ab Morgen werden wir dafür arbeiten, dass dieses Land wieder eine anständige Regierung bekommt.“ Er zeigte Entschlossenheit und damit das, worauf viele derer, dies seit Jahren gegen die Austerität auf die Straße gegangen waren, gewartet hatten. Mittlerweile treffen sich über 1.000 Kreise – Basisversammlungen – überall im Land. Selbst im Ausland organisieren sich viele Spanier. 350.000 Menschen haben sich online eingeschrieben.
Raquel Carrasco ist eine von ihnen. „Podemos ist Bewegung und mächtige Maschinerie, um Wahlen zu gewinnen, zugleich“, erklärt die 38-Jährige. Sie hat Politik und Internationale Zusammenarbeit studiert, nennt eine Master in Kommunikation ihr eigen und arbeitet dennoch nur mit immer neuen Zeitverträgen als Kundenberaterin bei einer Telefonhotline. Carrasco schloss sich noch vor den Europawahlen einem der ersten Kreise in der Madrider Altstadt an. Dieser tagte in einem kleinen Ladenlokal, dem ersten Sitz von Podemos. Längst ist die Parteispitze in geräumige Büros unweit der hauptstädtischen Prunkstraße Gran Via umgezogen.
Carrasco war immer in sozialen Bewegungen tätig, doch von Parteien wollte sie nichts wissen, bis der doppelte Charakter von Podemos sie in den Bann zog. Die Kreise haben nichts mit einer herkömmlichen Partei zu tun. Es sind vielmehr offene Bürgerversammlungen, wo konkrete Probleme behandelt und Aktionen geplant werden. „Keiner fragt woher du kommst, wenn du zuvor gewählt hast“, berichtet Carrasco.
„Irgendwann wurde mir klar, dass wir an die Macht müssen, um all das was privatisiert wurde, die öffentlichen Einrichtungen und den öffentlichen Raum zurückzugewinnen“, erklärt Carrasco, warum ausgerechnet sie, die absolute Gegnerin von Parteien, sich in den Bürgerrat in Madrid – den lokalen Parteivorstand – wählen lies. Egal ob interne Ämter, Programme oder Kandidaten für die 2015 anstehenden Kommunal-, Regional und Parlamentswahlen, bei Podemos bestimmt online, wer sich eingeschrieben hat. Mitgliedsbeträge gibt es keine. Von der kleinsten Veranstaltung bis hin zum „Marsch für Veränderung“, der am 31. Januar 300.000 Menschen in Madrid versammelte, alles wird per Crowdfunding finanziert.
Keine andere Partei in Spanien versteht es so wie Podemos die sozialen Netzwerke zu nutzen. Noemí Pizarroso ist eine der 20 Personen, die rund um die Uhr die 955.000 Anhänger der zentralen Facebookseite und 550.000 bei Twitter betreuen. „Als ich in der Arbeitsgruppe Netzwerke anfing, hatte ich keine Ahnung“, erklärt die 38-jährige Psychologieprofessorin an der spanischen Fernuniversität und schwärmt vom „kollektiven Lernprozess“ den ihr Podemos ermöglicht hat. Jetzt schiebt sie Samstag für Samstag Spätschicht am Computer. Primetime, Zeit der politischen Talkshows. Pizarroso kommentiert in Echtzeit die Auftritte von Podemos-Politikern.
Pablo Iglesias und Iñigo Errejón
„Ich gehöre zu denen, die glaubten, alles sei geregelt, Spanien ein modernes, soziales Land. Bis die Krise begann und alles zusammenbrach“, erzählt Pizarroso. Es waren die Talkshowauftritte von Pablo Iglesias, die sie politisierten. Iglesias nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es um die soziale Folgen der Austerität ging, er forderte „Menschen statt Banken“ zu retten. „Das sorgten für Risse im Einheitsdenken“, teilt Pizarroso die Erinnerungen vieler bei Podemos. Als die junge Frau erfuhr, das eben jener Iglesias plante eine Partei zu gründen, „konnte ich gar nicht anders als zur Vorstellung zu gehen.“ Seither ist sie aktiv.
Auch Carlos Fernández erinnert sich noch gut, wie alles anfing: „Mir erzählte ein ehemaliger Studenten, der heute in der Podemos-Führung sitzt, sie hätten da eine Sache in Planung, die das gesamte politische Spektrum verändern würde.“ Der 55-jährige Philosophieprofessor an der Madrider Universität Complutense, an der auch Pablo Iglesias unterrichtete, glaubte, die Rede sei einmal mehr von einem der vielen linken Projekte, die immer wieder entstehen und erfolglos verschwinden. „Als ich dann sah, was tatsächlich geschah, war ich mehr als überrascht“, erklärt Fernández, der sich der neuen Partei angeschlossen hat, aber nie auf einen Führungsposten aus war. Als Philosoph beobachtet und analysiert er; steht mehr mit Rat als mit Tat zu Seite.
„Viele in den Führungsstrukturen haben meine Vorlesungen besucht“, erklärt der überzeugte Marxist stolz. Es ist die Generation der „Bewegung gegen Bologna“, den Uniprotesten gegen die europaweite Anpassung der Studienpläne. Ein Teil bildete Anfang 2011 „Jugend ohne Zukunft“. Sie protestierte gegen die Perspektivlosigkeit angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent, prangerten an, dass immer mehr junge Menschen ihre Zukunft im Ausland suchen müssen, wie einst die Großeltern.
„Es war eine Bewegung, die ganz gezielt den breiten Konsens suchte. Sie verzichteten auf politische Symbole und wählten gelb für ihre Fahnen, eine Farbe, die politisch nicht vorbelastet ist“, sagt Fernández. „Jugend ohne Zukunft“ ging schließlich in dem auf, was nach der Großdemonstration der Empörten am 15. Mai 2011 Bewegung 15M genannt wird.
Iñigo Errejón ist einer der diesen Weg durchlaufen hat. „Wir stehen vor einer neuen gesellschaftlichen Mehrheit, deren Ausdruck der 15M war, eine Mehrheit, die im herkömmlichen Parteiensystem keinen Platz findet“, erklärt der 31-Jährige Doktor der Politik, Mitbegründer von Podemos und im staatlichen Bürgerrat – dem Parteivorstand – für Strategie und Kampagnen zuständig. „Wir gingen davon aus, dass ein neues Werkzeug für Bürgerbeteiligung notwendig war“, erinnert sich Errejón an die Debatten, die zur Podemos-Gründung führten.
Links? Rechts? Das sind für Errejón überholte Kategorien. Denn „ob Mitte-Links oder Mitte-Rechts, die Politik ist die gleiche: Austerität, Sozialkürzungen“. Podemos spricht von „unten“ und „oben“, von „den Leuten“ und von „der Kaste“, dem Klüngel aus Politik und Wirtschaft, die sich dank der Spekulationsblase in der Bauindustrie bereicherten. „Reiner Populismus“ lautet der Vorwurf an Podemos.
Errejón weist dies weit von sich. „Das ist ist ein Schlagwort gegen all diejenigen, die eine Veränderung anstreben. Sie werfen uns vor ‚einfache Lösungen für komplizierte Probleme anzubieten‘. Dabei ist es genau das, was die Parteien der Kaste gemacht haben. Sie haben Aufschwung versprochen und gleichzeitig die Rechte der Bürger gekürzt und per Verfassung die der Gläubiger gesichert.“ Er meint damit eine Verfassungsreform, die mitten in der Sommerpause 2011 von den beiden großen Parteien verabschiedet wurde. Seither haben Schulden Vorrang vor Sozialausgaben. Viele Wähler – vor allem die der Sozialisten – haben diesen Kniefall vor Brüssel und „la Merkel“ nie verziehen. Podemos will jetzt „die Souveränität in einem Land zurückerobern, das in Händen unfähiger Eliten ist, die nur an sich selbst denken“.
Leicht wird das Wahljahr nicht, das wissen alle bei Podemos. Nach den Europawahlen machte sich Presse und Politiker noch lustig über die neue Partei, nannte sie „Freakies“ und „Eintagsfliege“. Doch nach jedem neuen Umfragehoch wird die Kampagne gegen Podemos aggressiver.
Die Presse sucht unaufhörlich nach wunden Punkten. So wurde Errejón vorgeworfen, er habe von einer Universität für einen Forschungsauftrag kassiert, ohne dafür gearbeitet zu haben. Dies stellte sich ebenso als falsch heraus, wie der die Beschuldigung einer seiner Kollegen habe seinen akademischen Lebenslauf geschönt. Selbst das Finanzministerium gab unter der Hand Informationen über die Einkünfte eines Vorstandsmitglieder weiter. Er hatte für gutes Geld mehrere lateinamerikanische Regierungen beraten, darunter Venezuela. Rechte Tageszeitungen versuchten daraus abzuleiten, Podemos werde illegal von der dortigen chavistischen Regierung finanziert. Beweise gibt es auch hierfür keine.
„Podemos hat die historische Möglichkeit ein neues Projekt für dieses Land in Angriff zu nehmen. Aber wir wissen auch, dass sie alle Mittel gegen uns einsetzen werden. Diejenigen, die aus den Institutionen ihren privaten Schrebergarten gemacht haben, werden ihre Privilegien und ihre Machtpositionen nicht kampflos räumen“, spricht Errejón aus, was allen bei Podemos klar ist.