Sie kleben überall in Madrid an den Häuserwänden, diese runden, violetten Plakate. „Marcha del Cambio“ – „Marsch der Veränderung“ – steht in großen weißen Lettern zu lesen. Darunter die Uhrzeit und Ort für den Marsch am Samstag, der dort enden wird, wo am 15. Mai 2011 die Bewegung der Empörten entstand: La Puerta del Sol, dem zentralen Platz in Madrid, an dem sich der Kilometer 0 des spanischen Fernstraßennetzes befindet.
Was auf den runden Plakaten fehlt: Es steht nicht zu lesen, wer denn aufruft. Keine Bündnis, keine Partei, nichts. Dennoch wissen alle in Madrid, ja in ganz Spanien, wer dahintersteckt: Die neue Protestpartei „Podemos“ – „Wir können“. Violet ist ihre Farbe, der Kreis ihr Symbol. Zehntausende aus ganz Spanien werden erwartet. „2014 war das Ende der Resignation, 2015 ist das Jahr der Veränderung“, erklärt Parteichef Pablo Iglesias immer wieder in den Talkshows im Fernsehen.
Der Marsch soll das Superwahljahr mit Kommunal- und Regionalwahlen im Mai und Parlamentswahlen im Herbst einläuten. Nach dem Syriza-Sieg in Griechenland laufe jetzt auch die Zeit für die konservative Regierung unter Mariano Rajoy in Spanien ab, erklärt Iglesias. Ein Sieg der erst vor einem Jahr gegründeten „Podemos“ scheint tatsächlich möglich. Denn die beide großen spanischen Parteien, Rajoys Partido Popular und die sozialistsche PSOE, die sich seit Jahrzehnten an der Macht ablösen, stecken in einer tiefen Krise. Bei den Europawahlen im Mai erzielten sie zusammen erstmals nur noch unter 50 Prozent. Neuling Iglesias gelang mit seiner „Podemos“ die Überraschung: Acht Prozent, 1,2 Millionen Stimmen, fünf Angeordnete in Europa. „Wir werden uns damit nicht zufrieden geben. Wir sind gekommen, um zu siegen“, erklärte er in der Wahlnacht. Seither steigen die Umfragewerte unaufhörlich. Seit Ende 2014 liegt „Podemos“ auf Platz 1.
Egal in welchem Sender der 36-jährige Iglesias auftritt, schnellen die Einschaltquoten in ungeahnte Höhen. Der Politikprofessor aus Madrid ist ein politische Superstar. Er wettert gegen Sparpolitik, gegen die täglich in die Hunderte gehenden Zwangsräumungen, gegen hohe Arbeitslosigkeit von über 25 Prozent, gegen die 60 Milliarden Euro teure Bankenrettung, gegen Privatisierungen im Gesundheits- und Bildungssystem. Und er redet von der Korruption, die das Land in den Jahren der Bauspekulation wie eine Epidemie befallen hat.
„Ich will nicht, dass mein Land in ein zweites Griechenland wird, deshalb müssen wir gewinnen“, mahnt Iglesias. Er sieht seine „Podemos“ als Teil eines künftigen Bündnisses der Regierunen im Süden Europas gegen das „Spardiktat“ aus Berlin und Brüssel. „Syriza oder Merkel“ beschrieb der Spanier den Urnengang in Griechenland, als er im Wahlkampf seinen Freund Alexis Tsipras besuchte. In Spanien gehe es ebenfalls um „Merkel oder Podemos“.
Die neue Partei tritt das Erbe der Bewegung der Empörten an. Es gibt keine Mitgliedsausweise. Wer mitmachen will, beteiligt sich ganz einfach an einem der mittlerweile über 1.000 Kreisen, wie die Basisversammungen in Stadtteilen, Dörfern und für Berufsgruppen heißen. Wer innerparteilich über Personalentscheidungen und politische Prozesse abstimmen will, trägt sich online ein. Über 300.000 haben sich auf diese Art registriert. Sie kommen aus allen Schichten und aus allen Altersgruppen.
Spaniens traditionellen Parteien sind sichtlich nervös. Sie haben alles versucht. Sie beschimpfen die neue Formation wahlweise als „veraltete Kommunisten“, „Bolivarianos“, „Freaks“, „Freunde der Terroristen von ETA“, als „verantwortungslose Träumer“. Sie warnen vor dem Chaos, vor einem Spanien, das aus dem Euro ausgeschlossen wird, stöbern in den Lebensläufen der führenden Mitglieder, um irgend etwas zu finden, was deren Popularität schaden könnte. Nichts funktioniert. Die Umfragewerte steigen stetig.
Jetzt soll es Griechenland richten. Medien und offizielle Politk lassen kein gutes Haar an Tsipras und seiner Regierung. Sie hoffen, dass Syriza scheitert und dies dem Spuck im eigenen Land ein Ende bereiten könnte.
„Podemos“ feiert die ersten Beschlüsse des neuen Kabinetts, wie die Anhebung des Mindestlohnes und das Recht auf Strom und Nahrung für alle. Es sind Maßnahmen, die auch Iglesias – sollte er denn die Wahlen gewinnen – umsetzen wird. Das Bündnis mit den Nationalisten ist für die Sprecher von „Podemos“ kein Thema. Nur die die mangelnde Präsenz von Frauen im griechischen Kabinett wird verhalten kritisiert. „Syriza-Podemos -Venceremos!“ werden die Menschen auf dem Marsch in Madrid den Erfolg der Schwesterpartei feiern und den eigenen Sieg herbeisehnen. „Der Countdown für die Regierung Rajoy läuft“, verspricht Iglesias: „Tick tack tick tack …“