Beatriz de Lara kann stundenlang schwärmen. Die 31-jährige arbeitslose Ingenieurin redet nicht etwa von einem Hobby, von Musik oder Kino, sie redet von „einem politischen Werkzeug“. So nennt die junge Frau im Arbeiterviertel San Blas – Canillejas unweit vom Madrider Flughafen die Protestpartei „Podemos“ – („Wir können“). Wie jedem Donnerstag ist „Betty“ zum lokalen Círculo, dem Kreis, gekommen. So heißen die Basisversammlungen der neuen Partei rund um den Madrider Politikprofessor Pablo Iglesias. De Lara war von Anfang an dabei.
„Wir hatten unser eigenes kleines ‚Podemos‘ im Wohnzimmer“, sagt „Betty“ und lächelt dabei. Mit „wir“ meint sie sich und ihren ebenfalls arbeitslosen Freund, der Flugzeugmechaniker Sergio. „Wir sahen die Talkshows in denen Pablo auftrat und waren begeistert, redeten von der Notwendigkeit einer neuen Bewegung.“ Nicht nur für das Paar in San Blas, Iglesias ist überall im Land der Fernsehstar derer, die unter den Folgen der Krise leiden. Der 36-Jährige nimmt kein Blatt vor den Mund, redete von der Schuld der Banken, davon, dass Menschen und nicht Finanzinstitute gerettet werden müssen, von Zwangsräumungen, der Massenarbeitslosigkeit und von einer korrupten, politischen Klasse, die eng mit den großen Unternehmen des Landes verbändelt ist.“Die Kaste“ nennt er sie.
De Lara und ihr Freund stammen aus der Bewegung der Empörten, dem 15M, die einst nach der ersten großen Demonstration am 15. Mai 2011, überall in Spanien Protestcamps errichteten. „Wir nahmen an Versammlungen des 15M teil, aber irgendwie ging da nichts voran. Wir warteten darauf, das irgend etwas passiert“, berichtet die junge Frau. Was, das wussten sie selbst nicht so recht. Doch als Iglesias dann Mitte Januar ankündigte, eine Liste für die Europawahl vorbereiten zu wollen, war De Lara sofort klar: „Das ist es, worauf wir gewartet hatten.“
Zusammen mit einem Dutzend weiterer Nachbarn aus dem 15M in San Blas gründeten sie einen Unterstützerkreis für das was da „Podemos“ genannt wurde, noch bevor es überhaupt das Konzept Kreise als Basisversammlung gab. Als das Wahlprogramm und Kandidatenliste für die Europawahl öffentlich im Internet zur Abstimmung stand, kandidierte De Lara, die nie zuvor einer Partei angehört hatte, und wurde auf den Listenplatz 32 gewählt: „Podemos“ gelang die Überraschung: 1,2 Millionen Stimmen (8 Prozent), fünf Sitze in Brüssel.
Gerade einmal ein halbes Jahr ist das her und doch scheinen es Geschichten aus grauen Vorzeiten. „Alles geht so schnell und wir haben so wenig Erfahrung“, sagt De Lara. „Podemos“ hat sich mittlerweile – per offener online-Abstimmung – Strukturen gegeben. 260.000 Menschen sind eingeschrieben. San Blas Canillejas ist nur noch einer von über 1.000 Kreisen im In- und Ausland. Bei den Umfragen liegt die Partei mal auf Platz 2, mal sogar auf Platz 1. Die richtig große Überraschung scheint möglich.
Aus dem kleinen Haufen, der um De Lara, der im Januar in San Blas anfing, sind über 50 geworden, die sich Woche für Woche treffen. Den Stadtteilplatz haben sie gegen ein 200-Quadratmeter-Lokal im Erdgeschoss eines der vielen Wohnblocks aus den 1960er-Jahren, getauscht. Drei aus dem Kreis, die trotz Krise noch zu den Besserverdienenden gehören, finanzieren das.
Jung – alt, Männer – Frauen, Arbeiter- Akademiker, Arbeitslose und Rentner es ist ein buntgemischter Haufen, der zusammensitzt. Die meisten waren nie zuvor in einer Partei. Alles geschieht zum ersten Mal. Deshalb gehören Vorträge zum festen Bestandteil der Tagesordnung. Gesetzliches Mindesteinkommen für alle, das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA, oder wie heute die bevorstehende Privatisierung der Trinkwasserversorgung in der Region Madrid und deren Folgen. Es wird nachgehakt, offen diskutiert, oft sehr widersprüchlich. „Den Menschen die Politik zurückgeben“, nennen sie das.
Niemand fragt danach, woher jemand kommt. Ob er zuvor die sozialistische Partei gewählt hat, die postkommunistische Vereinigte Linke, Grün oder gar die regierenden Knservativen. Die hier im Kreis sitzen, verbindet nur eines. Den Wunsch nach einem tiefgreifenden Wechsel, ein Ende der Sozialkürzungen und ein Ende der Korruption. Sie sind „enttäuscht, empört und doch voller Hoffnung“, wie De Lara erklärt.
Genau um diese „Hoffnung“geht es der jungen Frau heute. Sie hat einen Reihe von Aktionen angedacht. Eine Veranstaltung auf der die wirtschaftlichen Grundsätze, die zwei namhafte Universitätsprofessoren ausgearbeitet haben, vorgestellt werden sollen, ein Meeting auf dem Platz im Stadtteil, Informationstische … „Wir müssen die Begeisterung auf die Straße tragen“, sagt De Lara. Zulange habe sich „Podemos“ mit sich selbst, mit dem Aufbau der internen Strukturen beschäftigt. Jetzt müsse es um „Sichtbarkeit“ um den Kontakt „mit unseren Leuten“ gehen. Alle hören zu, keiner hat Einsprüche.
Noch während De Lara redet, tragen sie sich für die notwendigen Aufgaben ein. Sie sind hier um etwas zu tun. „Die historische Chance Spanien zu verändern“, wie De Lara das definiert, zu nutzen. 2015 ist ein Superwahljahr. Im Mai werden Gemeinderäte und Regionalparlamente gewählt, im Herbst die Regierung der Nation. Alle kennen nur ein Ziel: „Den Überfall auf den Himmel“, wie sie gerne Iglesias zitieren. Und der ist – davon sind sie überzeugt – zum Greifen nahe.