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#TNPrez Tunesien, die Zweite

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Foto: Sarah Mersch

Bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen Tunesiens konnte am Sonntag keiner der 27 Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Damit wird am 28. Dezember eine Stichwahl zwischen den beiden Meistgewählten notwendig. Der Führer der bei den Parlamentswahlen vor einem Monat siegreichen säkularen Partei Nidaa Tounes (Ruf Tunesiens), Béji Caïd Essebsi, erreichte laut Umfragen beim Verlassen der Wahllokale zwischen 43 und knapp 48 Prozent der Stimmen; Moncef Marzouki, der bisherige Übergangspräsident, zwischen 27 und 33 Prozent. Das endgültige Ergebnis wird frühestens für Dienstag erwartet. Die Wahlbeteiligung lag bei 64 Prozent. Beide Kandidaten werden jetzt um die Anhänger der unterlegenen Kandidaten werben. Der 87-jährige Essebsi gilt als klarer Favorit.

Essebsi ist kein Unbekannter. Er war unter ersten Präsidenten Tunesiens nach der Unabhängigkeit von Frankreich 1956, Habib Bourguiba, Innen-, später Aussenminister und vertrat sein Land als Botschafter. Unter Bourguibas Nachfolger, dem am 14. Januar 2011 durch die Jugendproteste gestürzten Zine el-Abidine Ben Ali wurde Essebsi Präsident des völlig machtlosen Parlamentes, bevor er sich aus der ersten Linie der Politik zurückzog.

Nach dem Sturz Ben Alis stand der politische Veterane der Übergangsregierung vor und führte Tunesien zur Wahl der Verfassungsgebenden Versammlung im Oktober 2011, die von der islamistischen Ennahda gewonnen wurde. 2012 gründete Essebsi seine Nidaa Tounes, um den Islamisten einen starken Block entgegenzusetzen. Dazu scharrte er ein Sammelsurium von säkularen Politikern, Liberalen, Gewerkschaftern, aber auch ehemalige Mitgliedern und Kader von Ben Alis Einheitspartei RCD um sich.

Essebsis Wahlkampf baute erfolgreich auf die Spaltung zwischen säkularen Tunesiern und Islamisten. Außerdem stellt er sich als erfahrener Politiker dar, der die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in den Griff bekommen und für Sicherheit und Stabilität garantieren kann.

Sein Herausforderer Moncef Marzouki (69) gibt sich als Hüter der revolutionären Errungenschaften und warnt vor der Gefahr, dass mit Essebsi „die alten Kräfte“ zurückkehren könnten. Doch Marzouki, einst bekannter Menschenrechtler und Exilpolitiker hat ein Problem. Sein Kongress für die Republik (CPR) verhalf mit einer weiteren kleinen Partei Ennahda 2011 zur Regierungsmehrheit. Der säkulare Marzouki wurde dadurch Übergangsstaatspräsident. Viele machen ihn für die Wirren der Übergangszeit, die schließlich mit dem Rücktritt der Ennahda-Regierung und der Einsetzung eines Technokratenkabinett endete, mit verantwortlich. Ennahda verlor die Parlamentswahlen vor einem Monat. Marzoukis CPR büßte 25 der 29 Sitze ein.

Ennahda verzichteten auf einen Präsidentschaftskandidaten und sprach auch keine Wahlempfehlung aus. Marzouki warb gezielt um diese Stimmen und schreckte dabei selbst vor einer gewissen Nähe zu radikalen Predigern und Vertreter gewaltbereiter Gruppen nicht zurück. Essebsi nutzte dies geschickt im Wahlkampf, um Marzouki in die islamistische Ecke zu stellen.

In der zweiten Runde kommt es jetzt auf die Wähler des linken Hamma Hammami – 11 Prozent – und des Liberalen Slim Riahi – 7 Prozent – an. Ein Bruchteil dieser Stimmen macht Essebsi bequem zum ersten freigewählten Staatschef Tunesiens.

 

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Meine Meinung

Glückwunsch Tunesien!

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Auch wenn die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen noch ausstehen, ist es Zeit, die Tunesier zu beglückwünschen. Anders als in Ägypten, Libyen oder Syrien, haben sie den Weg zur Demokratie geschafft. Er war länger als gedacht, schwieriger als gedacht, aber er war bisher erfolgreich.

Mit der neuen Verfassung in der Hand wählte das kleine nordafrikanische Geburtsland des arabischen Frühlings im vergangenen Monat das Parlament und gestern den Präsidenten. Am 28. Dezember wird es einen zweiten Wahlgang – eine Stichwahl – zwischen dem Führer der im Oktober siegreichen säkularen Partei Nidaa Tounes (Ruf Tunesiens) Béji Caïd Essebsi und dem bisherigen Übergangspräsidenten Moncef Marzouki geben. Essebsi erreichte je nach Prognosen zwischen 43 und knapp 48 Prozent der Stimmen, Marzouki zwischen 27 und 33 Prozent.

Tunesien führte diesen ersten Wahlprozess auf Grundlage der neuen Verfassung durch, als wäre das Land schon seit langem demokratisch. Die Wahlaufsicht funktioniert und schreitet ein, wenn es einzuschreiten gilt. Die Verlierer – im Falle der Parlamentswahlen im Oktober die islamistische Ennahda – erkennen ihre Niederlage an, ohne Drama, ohne Betrugsverdächtigungen. Tunesien debattiert und wählt mit erstaunlicher Reife.

Sobald der Staatschef endgültig feststeht, kommt der schwierigste Teil des Übergangs zur Demokratie: Die tägliche Arbeit der Institutionen. Die Erwartungen der Bürger sind riesig. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Arbeitslosigkeit, vor allem unter jungen Menschen ist hoch. Die Demokratie braucht den Aufschwung, um zu beweisen, dass das neue System echte Vorteile bietet. So mancher hat bereits jetzt das Vertrauen in den arabischen Frühling und die Demokratie verloren und folgt radikalen Predigern. Über 2.500 Tunesier haben sich den radikalen islamistischen Milizen im Nachbarland Libyen aber auch in Syrien und dem Irak angeschlossen.

 

Was bisher geschah: