Richter Pablo Ruz an der Audiencia Nacional in Madrid versteht etwas von Timing. Knapp 24 Stunden bevor Ministerpräsident Mariano Rajoy am Donnerstag vor dem spanischen Parlament, mit einer Reihe von Maßnahmen gegen die Korruption, die „politische Erneuerung“ einleiten wollte, legte er eine erste Anklageschrift im Falle „Gürtel“ vor. Unter den 43 der Korruption Beschuldigten, befinden sich 20 Ex-Funktionäre Rajoys Volkspartei (PP). Gesundheitsministerin Ana Mato wird als „Nutznießerin von Verbrechen“ genannt. Sie trat noch am Mittwoch Abend zurück.
Der Unternehmer Francisco Correa, dessen Nachname ins Deutsche übersetzt dem Fall seinen Namen gab, soll mit Hilfe zahlreicher PP-Politiker Aufträge und Gemeindebauland erhalten haben. Correa und sein Netzwerk zeigten sich mit Geschenken und hohen Geldbeträgen bei Politikern, Unternehmern und Angehörigen erkenntlich. Über 200.000 Euro flossen in die PP-Kassen.
Gesundheitsministerin Mato soll Zuwendungen in Höhe von 55.000 Euro bezogen haben. Ihr Ex-Ehemann war Bürgermeister in einem Vorort Madrids. Für Bauaufträge und Baulandvergabe soll er rund 700.000 Euro eingestrichen haben. Mato bezog als Ehefrau teure Geschenke und wurde mit Reisen bedacht. Das Netzwerk zahlte ausserdem Kindergeburtstage sowie die Kommunion einer der Zöglinge Matos. Auf einem dieser Partys fielen für Konfetti 4.700 Euro an.
Mato leugnet dies bis heute. Sie habe – trotz erdrückender Beweislage – alle Reisen und Feste selbst bezahlt. Auch von dem teueren Jaguar ihres Mannes in der Familiengarage will sie nichts gewusst haben.
Die Anklageschrift vom Mittwoch ist nur der Anfang. Sie beschäftigt sich mit den Jahren 1999 bis 2005. Der Fall „Gürtel“ ist so komplex, dass er in mehrere Verfahren aufgeteilt wurde. Insgesamt wird gegen rund 200 Politiker, Unternehmer und Angehörige aus dem PP-Umfeld ermittelt. 24 der 43 auf der am Mittwoch veröffentlichten Liste werden auch in weiteren Fällen vor Gericht stehen, darunter die drei Schatzmeister.
In den Akten tauchen Hinweise auf, die nahelegen, das selbst Ministerpräsident Rajoy mit Umschlägen voller Schwarzgeld bedacht wurde. Die Parteizentrale in Madrid wurde mit Schwarzgeld renoviert, Wahlkampagnen wie die der PP-Generalsekretärin und Präsidentin der Regionalregierung Maria Dolores de Cospedal sollen damit finanziert worden sein.
Die PP hat immer wieder versucht das Verfahren zu stoppen. Richter Baltasar Garzón, der die Ermittlungen 2009 aufnahm, wurde aus dem Gerichtsdienst entlassen, weil er Anwälte und Beschuldigte im Gefängnis abhören ließ, als diese Absprachen trafen, um Schwarzgeldkonten leerzuräumen. An 21 Länder wurden insgesamt 183 Amtshilfeanträge gestellt, darunter die Schweiz. Die PP hatte versucht in den Verfahren als Geschädigte und Nebenkläger aufzutreten. Dies wurde letztendlich nicht genehmigt. Das Verhältnis zwischen PP und Gürtel sei „symbiotisch“ und nicht ein „parasitär“, heißt es in einem der Schriftsätze der Polizeieinheit für Wirtschaftsverbrechen und Steuervergehen (UDEF).
Rajoys Auftritt im Parlament brachte wenig Neues. Er kündigte die gleichen Maßnahmen an, wie bereits 2013, nachdem PP-Schatzmeister Luis Bárcenas inhaftiert worden war. Seine Regierung werde das Gesetz für Parteispenden verschärfen und das Parteiengesetz dahin ändern, dass Politiker genauer überwacht werden. Rajoy sei „weder in der Lage noch legitimiert, die Erneuerung, die Spanien braucht, anzuführen“, erklärte der sozialistische Oppositionsführer Pedro Sánchez. Und Pablo Iglesias, Chef der neuen Protestpartei „Podemos“, die bei Umfragen mittlerweile vorn liegt, verlangte vorgezogene Neuwahlen, denn „die Korruption hat ein Niveau erreicht, das es im Sinne eines Mindestmasses an institutioneller Demokratie inakzeptabel macht, dass sich der Präsident nicht zurückzieht.“
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Meine Meinung
Korruption – eine flächendeckende Krankheit
Da stellt sich mit Mariano Rajoy ein Ministerpräsident vor das spanische Parlament und wirbt für politische Erneuerung und für den Kampf gegen die Korruption. Und das ausgerechnet am Tag nachdem seine Gesundheitsministerin wegen großzügiger Geschenke abtreten musste. Dabei handelt es sich nur um den letzten Skandal in einer langen Reihe. Rajoy steht einer Partei vor, die durch und durch korrupt ist.
Das Netzwerk „Gürtel“ hat sich dank Lokal- und Regionalpolitiker aus den Reihen der Volkspartei (PP) von Rajoy jahrelang bereichert. Dafür wurde ordentlich geschmiert. Schwarzgeld floss an die Partei. Selbst Rajoy wird verdächtigt, zusätzlich zu seinem Gehalt als Parteichef lange Zeit regelmässig Geld in Umschlägen erhalten zu haben. Gegen die letzten drei PP-Kassenwarte wird ermittelt, einer davon sitzt in U-Haft. Glaubwürdigkeit sieht anders aus. Wenn so eine Partei vom Kampf gegen die Korruption spricht, ist dies als würde ein Whiskyfabrikant die anonymen Alkoholiker finanzieren.
Eine solche Regierung ist ein gefundenes Fressen für die Opposition, sollte man meinen. Doch weit gefehlt. Denn auch die Sozialisten, die Vereinigte Linke und selbst die Gewerkschaften haben mit ihren Skandal zu kämpfen. Keiner traut sich den ersten Stein zu werfen.
Rajoys Satz, nachdem es sich bei der Korruption um ein paar Einzelfälle handelt und nicht um eine flächendeckende Epidemie, ist leider falsch. Die Bürger wissen dies. Die beiden großen Parteien verlieren Monat für Monat bei den Umfragen an Zuspruch. Die neue Protestbewegung „Podemos“ liegt bei manchen Meinungsforschungsinstituten bereits an erster Stelle, obwohl sie noch dabei ist sich als Partei zu organisieren. „Vaterlandsretter mit dem Besen“ nennt Rajoy sie und versucht dabei abschätzig zu klingen. In Wirklichkeit hat er Angst und ist dabei nicht alleine. Denn mit jedem neuen Skandal wird ein Wahlsieg von „Podemos“ im kommenden Jahr – und damit ein tiefer Wandel in Spaniens Politik – wahrscheinlicher.