Souvenirshop in Madrid: Der Traum vom madrilenischen Champiosleague-Finale
„Von Spiel zu Spiel, leiden, leiden, leiden“, gab Trainer Diego Pablo Simeone seinem Atlético de Madrid vor Monaten mit auf den Weg. Es klang wie eine Botschaft aus alten Zeiten. „Pupas“ – „der mit den Wehwehchen“ wurde der kleine der beiden spanischen Hauptstadtclubs bisher genannt. Doch damit und mit dem Leiden scheint es erst einmal vorbei. Wie in einem Rausch spielen sich die Rot-Weißen durch die Liga. Drei Tage vor Ende der Saison ist Atlético an der Tabellenspitze. Noch zwei Siege und der Titel ist sicher. Es wäre das erste Mal seit 1996, das Atlético die Primera División gewinnt.
Und in der Championsleague geht es heute (Mittwoch) im Rückspiel bei Chelsea um den Einzug ins Endspiel. 40 Jahre nach jener historischen Finalniederlage gegen Bayern München ist der europäische Pokal zum zweiten Mal in der Geschichte des Traditionsclubs zum Greifen nahe. Egal was geschieht, die Fans sind sich über eines einig. „Atletico hat uns dieses Saison so viel Freude bereitet, selbst wenn sie es nicht schaffen, sind sie weiter, als wir je zu träumen gewagt haben.“, heißt es allerorts. „Leiden“ ist plötzlich ein Begriff aus längst vergangenen Zeiten.
Lange brauchte es, bis Spaniens Presse, Rundfunk und Fernsehen wahrnahmen, was da geschieht. Woche für Woche mit Atlético an der Tabellenspitze berichteten sie – wie seit Jahren gewohnt – über das vermeintliche Titelduell Real Madrid, FC Barcelona. „Atletico animiert die Liga“, war die einhellige Meinung. Dass die Rot-Weißen auch am Ende der Saison das Geschehen bestimmen, und gar FC Barcelona aus dem europäischen Wettbewerb kicken könnten, das hielten alle für unmöglich.
Jetzt ist das „System Cholo“ – benannt nach dem Spitznamen des argentinischen Trainers und Ex-Spielers von Atlético de Madrid Simeone – in aller Munde. Es ist keine Elf der Superstars. Aber es ist eine solide Mannschaft, die im Stadion am Flussufer des Manzanares ihr Heim hat. Dank einer kompakten, flexiblen Abwehr und dem hervorragenden Torhüter Thibaut Courtois, der ausgerechnet von Chelsea überlassen wurde, ist Atlético die spanische Erst-Liga-Mannschaft, die am wenigsten Gegentore zu verzeichnen hat. Mittelfeldspieler wie der Türke Arda Turan und die beiden Stürmer Diego Costas und David Villa sorgen für schneller Konter. Doch es ist vor allem der Kampfgeist, der den Rot-Weißen in der Vergangenheit nur allzu oft fehlte, der für den Erfolg sorgt. „Wir haben unsere Schwächen, machen aber das Beste daraus“, erklärt Simeone gerne. Stolz verweist er auf den Haushalt des Clubs. Seine Elf hat gerade einmal ein Zehntel dessen, was Real und Barça diese Saison ausgeben.
Das System funktioniert perfekt. Das musste FC Barcelona immer und immer wieder erfahren. Vier der fünf letzten Spielen gingen unentschieden aus. Und das wichtigste, das Rückspiel im Viertelfinale der Champions gewanne die Rot-Weißen. „Viel Atlético für den alten Barça“, konstatierte Spaniens größte Tageszeitung El País. „Keiner von ihnen wird den Goldenen Ball gewinnen, aber keiner hat einer schlechtere Note als ein Gut. Und sie summieren und summieren. (…)Atlético ist die Gegenwart, der Beweis dafür, dass Fußball keinen Preis hat, es ist kein abgesteckten Gehege derer, die Geld haben“, heißt es weiter.
Als vor einer Woche Chelsea im Hinspiel ein 0:0 ermauerte, verließ der portugiesische Trainer des britischen Clubs, José Mourinho, Madrid, als hätte seine Elf einen Sieg davongetragen. „Wir haben ihr Spiel zu nichte gemacht, wie es normalerweise Atlético tut“, erklärte er und setzt alles auf das Rückspiel in Stamford Bridge, heute Abend. Leicht wird es nicht für die Blauen aus London. Es fehlen wichtige Spieler. Torwart Petr Cech verletzte sich beim Hinspiel und wird wohl diese Saison nicht mehr auflaufen. Zwei wichtige Spieler im Aufbau des englischen Spitzenreiters, die Mittelfeldmänner Frank Lampard und John Mikel fehlen wegen Gelbsperre. Auch Abwehrchef und Kapitän John Terry und Stürmer Samuel Etoo könnten möglicherweise wegen Verletzung fehlen.
„Das Rückspiel wird anders sein, sie müssen etwas mehr aufmachen“, ist sich Atlético-Stürmer und spanischer Nationalspieler Diego Costa sicher. Dann wird sich zeigen,was die Konter des eingebürgerten Brasilianers und seines Kollegen Vila wert sind. „Die Fans erinnern sich nicht mehr woher das mit den Wehwehchen kam“, schreibt die Sportzeitung Marca voller Zuversicht. Und die Tageszeitung El Mundo warnt: „Atlético kennt keine Grenzen.“