Heim nach Sepharad, heim nach Spanien. Dieser nostalgische Traum soll für die Nachfahren der 1492 von der iberischen Halbinsel vertriebenen Juden jetzt Wirklichkeit werden. Die konservative Regierung unter Mariano Rajoy stellte am vergangenen Freitag einen Gesetzentwurf vor, in dem das Recht auf einen spanischen Pass für die schätzungsweise 3,5 Millionen Sephardim weltweit geregelt wird. Ihre bisherige Staatsangehörigkeit dürfen sie behalten. Sobald das Gesetz vom Parlament verabschiedet wird und in Kraft tritt, müssen sie dazu binnen zweier Jahre ihre Abstammung belegen. Vor den spanischen Konsulaten in Jerusalem und Tel Aviv bilden sich seit Wochenbeginn lange Schlangen.
„Es gibt eine historische Schuld gegenüber denen, die immer Spanier sein wollten. Viele von ihnen bewahren den Schlüssel des Hauses auf, aus dem sie einst vertreiben wurden. Heute steht ihnen die Tür offen, damit sie wieder das sein können, was sie immer hätten bleiben müssen, spanische Bürger mit allen Rechten“, erklärt Justizminister Alberto Ruíz Gallardón die geplante Regelung.
Die Katholische Könige Fernando von Aragón und Isabel von Kastilien zwangen 1492 um die 100.000 Juden ihre Heimat binnen vier Monaten zu verlassen. Die Betroffenen verteilten sich über das gesamte osmanische Reich, von der Türkei bis an die Grenzen des heutigen Marokkos. Hinter sich ließen sie das, was den Sephardim , aber auch den Muslimen bisheute als goldenes Zeitalter gilt. Unter der Herrschaft muslimischer Kalifen lebten in Spanien die drei großen Religion friedlich zusammen, bis die Katholischen Könige schließlich die gesamte iberische Halbinsel „zurückeroberten“.
Eines der Kriterien, mit denen Spaniens Konsulate feststellen sollen, wer Sephardim ist und wer nicht, ist der familiäre Gebrauch des Ladino. 90.000 bis 250.000 Menschen sprechen dieses mittelalterlichen Spanisch bis heute. Ausserdem sollen religiöse Würdenträger der sephardischen Gemeinden Zeugnisse ausstellen, in denen sie die Herkunft bestätigen. Ein weiteres wichtiges Merkmal sollen die Nachnamen und die Listen in spanischen Archiven aus der Zeit der Vertreibung sein.
Bereits in den 1920er Jahren wurde ein erstes Gesetz erlassen, dass es Sephardim ermöglichte sich einzubürgern. Einige spanische Konsulate nutzen dies, um Juden vor dem Holocaust zu retten und das obwohl Spanien von Hitlers Verbündeten General Franco regiert wurde. 1992, 500 Jahre nach der Vertreibung schloss Spanien erstmals ein Abkommen mit den kleinen jüdische Gemeinden. Ähnlich wie die Nachfahren derer, die einst in die lateinamerikanischen Kolonien auswanderten, können sich Sephardim bereits heute dank ihrer Abstammung einbürgern lassen. Der Prozess ist hedoch langwierig und führt zum Verzicht auf die bisherige Staatsbürgerschaft.
In Spaniens jüdischen Gemeinden stellen sich viele die Frage, warum das Gesetz ausgerechnet jetzt, mitten in der Krise verabschiedet wird. „Justizminister Ruiz Gallardón möchte seinen Ruf in Europa aufbessern“, meint ein Mitglied der Gemeinde in Barcelona am Telefon. Aus Gallardóns Ministerium kommen die Gesetze, die die Demonstrationsfreiheit schwer einschränken und die Abtreibung verbieten sollen. Gallardón brauche dringend positive Schlagzeilen.
Als der Minister vor zwei Jahren erstmals von der Möglichkeit einer Einbürgerung der Sephardim redete, spekulierten einige Journalisten, die Regierung wolle die Vermögen der Juden nach Spanien bringen. „Das ist Unsinn, die Sephardim sind meist ganz normale Leute ohne große Besitztümer“, sagt die Sprecherin des Verbandes der jüdischen Gemeinden in Spanien, María Royo. Sie glaubt, dass es tatsächlich nur darum geht, „einen historischen Fehler wieder gut zu machen“. Für viele Sephardim sei ein spanischer Pass etwas nostalgisches. Royo glaubt nicht an die massenhafte Einwanderung nach Spanien.
Ein Kolumnist der israelische Tageszeitung Haaretz sieht das anders. „Die spanische Staatsbürgerschaft wird vielen Israelis den Zugang zum Gesundheitssystem der Europäischen Union, Arbeitserlaubnis und billige oder gar kostenlose Hochschulbildung bescheren. Die Spanier wissen nicht, was da auf sie zukommen“, heißt es. Außerdem gibt Haaretz zu bedenken, dass nicht nur Juden sondern „hundert Jahre später eine etwa gleich große Zahl an Muslimen“ vertrieben wurden. „Falls Spanien deren Nachkommen ebenfalls wieder ins Land lässt, können sie den Nah-Ost-Konflikt bei sich zu Hause nachleben.“