Die Zeilen sind über 150 Jahre alt, aber gäbe es sie nicht, so müssten sie für Jaume d’Urgell geschrieben werden: „Er hängt an keinem Baum und hängt an keinem Strick, sondern an dem Glauben der freien Republik.“ Wie der badische Revolutionär Friedrich Hecker in dem Lied von 1848 träumt D’Urgell von der freien Republik. Und er kämpft noch heute, in Spanien. Denn sein Land ist eine parlamentarische Erbmonarchie. Der 37-jährige Informatiker aus Madrid widmet sich voll und ganz „der Bekehrung“ seiner Landleute, in dem er versucht, ihnen die Farben der zweiten, spanischen Republik (1931-1939) und damit „die verheimlichte Geschichte des Landes“ nahezubringen.
Keine Großdemonstration auf der D’Urgell nicht mit seiner 3 mal 4 Meter großen Fahne auftaucht. Er steigt auf Kioske oder Aufzüge von Parkhäusern und schwenkt das Tuch. Applaus ist ihm sicher. Der junge Mann, der an der Universität in Sevilla Rethorik unterrichtet, ist sogar bereit für die Farben Rot-Gelb-Purpur ins Gefängnis zu gehen. Er wurde zu dreieinhalb Monaten Haft verurteil, nachdem er bei einer Demonstration gegen die hohen Wohnungspreise an einem Gerichtsgebäude die aktuelle rot-gelb-rote Staatsfahne gegen die der Republik ausgetauscht hat. Das Urteil wegen „Verunglimpfung Spaniens“ ist rechtskräftig. „Ich hoffe, dass sie sich nicht trauen, es zu vollstrecken“, erklärt D’Urgell.
D’Urgell gibt sich bescheiden: „Der Applaus auf den Demonstrationen gilt nicht mir, ja nichteinmal der Fahne. Die Menschen applaudieren den demokratischen Werten, für die sie steht, und damit sich selbst.“ D’Urgell empfängt im Madrider Kulturverein Ateneo. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert schmiedeten hier Politiker und Intellektuellen demokratisch, republikanische Pläne. Die Erste Republik (1873-1874)scheiterte noch bevor die Verfassung fertiggeschrieben war. Die Zweite wurde am 14.April 1931 ausgerufen, als der Großvater des heutigen spanischen Königs abdankte, und endete acht Jahre später nach einem blutigen Bürgerkrieg gegen die Truppen des Putschisten Francisco Franco, der Spanien bis 1975 mit eiserner Hand regierte.
D’Urgell hat ein ganz besonderen Raum ausgewählt. Er sitzt im Büro des einstigen Ateneo-Chefs, Manuel Azaña, und damit des Mannes, der als Staatspräsident 1936 bis 1939 versuchte die Republik im Bürgerkrieg zu verteidigen und schließlich scheiterte.
„König Juan Carlos stand vier Jahre Franco zur Seite“, verweist er auf den wundesten Punkt des spanischen Monarchen, der wie D’Urgell dem Ateneo angehört. „Wird ein öffentliches Amt nicht gewählt, ist es kein öffentliches und auch kein demokratisches Amt“, begründet er seinen Einsatz für die Republik. Spaniens König Juan Carlos ist für D’Urgell damit nur ein hoher Militär, Oberbefehlshaber der Armee. „Es kann doch nicht sein, dass im Jahr 2010 alle vom Parlament verabschiedete Gesetze von einem Soldaten abgezeichnet werden, der nie gewählt wurde.“
Längst ist D’Urgell, der in Barcelona als Sohn eines reichen, konservativen Weingutbesitzers aufwuchs, nicht mehr der einzige, der die republikanische Trikolore mit sich führt. Egal ob Gewerkschaftsaufmärsche oder Proteste gegen die Straffreiheit der Verbrechen der Franco-Diktatur, ob Frauentag oder Homosexuellenparade, Rot-Gelb-Purpur bestimmt das Bild. Gemeinderäte, die von der kommunistischen Vereinigten Linken dominiert werden, stimmen gegen die monarchistische Verfassung. Und auch so manches Mitglied der Sozialistischen Partei von Spaniens Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero, der auch D’Urgell nach einem vierjährigen Abstecher in verschiedene linke Gruppierungen erneut angehört, besinnt sich zurück auf eine republikanische Ordnung. Überall in Spaniens Städten finden sich Aufkleber: „Gegen die Arbeitslosigkeit – Republik“ – „Gegen die Finanzspekulanten – Republik“ steht da zu lesen.
D’Urgell ist damit nicht immer einverstanden. „Es ist ein Fehler, die Republik aus der Vergangenheit zu definieren und sie mit anderen – wenn auch noch so hehren, radikalen Zielen zu verbinden“, erklärt er. Er will eine Republik „ohne Nachnamen“. D’Urgell definiert sich als Antimilitarist, bekennender Schwuler, rationaler Agnostiker und Sozialist. Doch der Einsatz für die Republik müsse ein Kampf für eine wirkliche Demokratie sein. „Eine freie, demokratische Republik eben, in der jeder Staatschef werden kann, egal aus welcher politischen Ecke er kommt.“
Mit solchen Aussagen macht er sich nicht nur Freunde. Er sei ein „politischer Clown“, heißt es in links-alternativen Internetforen. Als Beweis dienen Fotos aus dem Jahr 2008. Darauf ist D’Urgell mit seiner Trikolore auf der Schwulen- und Lesbenparade in Madrid zu sehen. Splitternackt den Körper komplett rot-gelb- purpur bemalt. „Ich werde doch nicht im Smoking auf die Schwulendemo gehen“, verteidigt er sich.
D’Urgell ist davon überzeugt, dass sich Spanien schon in drei bis vier Legislaturperioden von der Monarchie verabschieden wird. König Juan Carlos ist 72 Jahre alt und nicht bei bester Gesundheit. „Ein Wechsel auf dem Thron wird zu einer Krise im System führen“, glaubt D’Urgell. Der König stünde trotz seiner Vergangenheit an der Seite der Diktatur für den Übergang zur Demokratie. „Sein Sohn Prinz Felipe ist einfach nur illegitim“, beendet Jaume d’Urgell das Gespräch unter dem wachsamen Blick der Portraits von Manuel Azaña, das in der Zweiten Republik die Amtszimmer zierte.