© 2011 Reiner Wandler

#yoquierovotar Spanier wollen abstimmen

Der Vorwurf wiegt schwer. Von einem „verdeckten Staatsstreich“ sprechen Spaniens Gewerkschaften und die Bewegung der Empörten. Sie machen gegen die Aufnahme einer Defizitobergrenze in die Verfassung mobil und verlangen ein Referendum. In Madrid gingen am Dienstag Abend 25.000 auf die Straße, in Barcelona 20.000. In den meisten Provinzhauptstädten fanden ebenfalls Demonstrationen und Kundgebungen statt. Die beiden großen Parteien des Landes, die regierende, sozialistische PSOE von José Luis Rodríguez Zapatero und die konservative Volkspartei (PP) stimmten dennoch die Reform der Magna Carta durch den Senat, die zweite Kammer Spaniens. Der Kongress hatte bereits vor wenigen Tagen zugestimmt. Es ist das einzige Mal in knapp acht Jahren unter Zapatero, dass sich die beiden großen Parteien auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten.


Das Defizit wird künftig auf maximal 0,4 Prozent festgeschrieben. „Echte Demokratie – Jetzt!“, die Gruppe, die mit ihren Großdemonstrationen am 15. Mai diesen Jahres die Bewegung der Empörten ins Leben rief, sieht darin „den völligen Abbau der sozialen Garantien, und damit der Grundlage unserer Verfassung“. Dem Staat bliebe im Falle einer schweren Krise oder eines Angriffs durch Spekulanten auf den Märkten kein Handlungsspielraum. Im Manifest, dass in Madrid zum Abschluss, der von den beiden großen Gewerkschaften, der sozialistischen UGT und der postkommunistischen CCOO, angeführten Demonstration verlesen wurde, ist von „einem schweren Angriff auf die Souveränität des Volkes“ die Rede. „Ich will abstimmen“, lautete einer der von den Teilnehmern am meisten getragenen Parolen.

Eigentlich müsste das auch so sein. Denn eine Verfassungsreform verlangt nach einer Volksabstimmung, außer wenn es sich um kleinere Verbesserungen der Magna Carta handelt. Genau darauf reden sich die beiden großen Parteien heraus. Die Idee zur Reform stammt von Regierungschef Zapatero. Er unterbreitete die Verfassungsreform zugunsten einer Verschuldungsgrenze telefonisch dem Vorsitzenden der PP, Mariano Rajoy, ohne dies zuvor mit seiner Regierung oder der sozialistischen Fraktion abgestimmt zu haben. Zapateros Abgeordneten wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Wer dagegen war, wurde gezwungen, der Abstimmung im Kongress und Senat fern zu bleiben. Wer es, wie der ehemalige CCOO-Generalsekretär und derzeitige Vorsitzende der Wirtschaftskommission im Parlament, Antonio Gutierrez, dennoch wagte mit „Nein“ zu stimmen, wurde von der sozialistischen Fraktion zu einer Geldstrafe wegen Disziplinbruchs verdonnert.

„Eine antidemokratische Dampfwalze“, sehen die Befürworter eines Referendums im Vorgehen der beiden großen Parteien. Die Verfassungsreform sei auf Druck „fremder Kräfte“ zustande gekommen, beschwert sich CCOO-Chef Ignacio Fernández Toxo. Sie solle „das Geschäft zulasten der Qualität der Demokratie sichern“. Mittlerweile haben im Internet knapp 150.000 Menschen eine Petition für eine Volksabstimmung unterzeichnet.

„Es handelt sich um eine politisches Zeichen von höchstem Niveau zugunsten des Euros“, weißt der Sprecher Zapateros, Ramón Jauregui, die Kritik zurück. Ein Referendum sei nicht nötig, denn „dazu sind die Wahlen da, um die Parteien zu belohnen oder zu bestrafen.“ Die Umfragen zu den vorgezogenen Neuwahlen am 20. November, bei denen die Sozialisten statt Zapatero dessen ehemaligen Stellvertreter und Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba ins Rennen schicken, sprechen eine deutliche Sprache. Die PSOE liegt 14 Punkte hinter der konservativen PP.


Doch bis zum Urnengang steht Spanien erst einmal ein heißer Herbst bevor. Die Sozialkürzungen sorgen überall im Lande für Proteste. In Barcelona macht das Krankenhauspersonal, gegen die Schließung von Notaufnahmen und OPs und dem damit verbundenen Stellenabbau mobil. In Madrid sind es die Lehrer. Sie sollen im kommenden Schuljahr mehr Unterricht geben. Die Elternsprechstunden werden gestrichen. 3.100 Stellen fallen dadurch weg. Am 14. September – zum Schuljahrsbeginn – treten die Lehrer in den Streik. Und am 15. Oktober meldet sich einmal mehr die Bewegung der Empörten. Sie mobilisiert weltweit zu Demonstrationen gegen die unsoziale Krisenpolitik.

Was bisher geschah: