© 2010 Reiner Wandler

Erneuerbare Energien, eine Herausforderung

So sieht also das Allerheiligste des spanischen Stromnetzes aus. Riesige Wandbildschirme mit einem Wirr-Warr an Linien, rote und grüne Punkte und Säulendiagramme. Über den Technikern an ihren Computern befindet sich ein Raum mit einem großen Tisch von dem aus das ganze überblickt werden kann. Das Krisenzentrum. Fotos sind untersagt, die Frage nach dem Ort der zweiten, identischen Zentrale für den Notfall bleibt unbeantwortet, aus Sicherheitsgründen. Denn schließlich hängen 44 Millionen Einwohner und die achtgrößte Wirtschaft weltweit an den Kabeln von Red Eléctrica de España (REE) vor den Toren Madrids.

Soweit ist alles elektrischer Alltag. Doch zwei Details unterscheiden REE von vergleichbaren Einrichtung in anderen Ländern. REE ist nicht nur Netzbesitzer. Das 1985 privatisierte Unternehmen, dem heute das gesamte Transportnetz und fast alle Verteilungseinrichtungen gehören, war zugleich der erste unabhängige Netzbetreiber weltweit. REE kümmert sich damit um das gesamte spanische System und alle Operationen.

Und die zweite Besonderheit führt Elektrotechniker Juan Manuel Rodríguez stolz vor, das Kontrollzentrum für Erneuerbare Energien (CECRE). Es ist in das allgemeine Kontrollzentrum integriert. Hier wird das verwaltet, was bis vor Kurzem noch als „nicht planbar“ galt: über 17.000 MW installierte Leistung an Windenergie, knapp 4.000 MW Photovoltaik und rund 180 MW Solarthermik. Spanien ist damit neben den USA und Deutschland die dritte Großmacht in Sachen erneuerbarer Energien.

„Die Vorhersage der Produktion aus erneuerbaren Quellen ist kompliziert“, erklärt Rodríguez. Das Gesetzt verlangt deshalb von den großen Betreibern eigene Kontrollzentren, die Daten und vor allem Produktionsvorhersagen an REE weiterleiten. Kleinere Betreiber schließen sich regional zusammen. Insgesamt 18 Zentren liefern permant ihre Daten an REE in Madrid. „Beim Wind verzeichnen wir für 2008 eine Schwankung zwischen 11.000 MW im Tagesschnitt am besten Tag und 340 MW am schlechtesten Tag“, erklärt der Spezialist von REE, warum dies so wichtig ist.

Rodríguez ist ein alter Hase. Er schrieb einst die ersten REE-Studie über die Auswirkungen der Windenergie auf das Netz. Heute vertritt er sein Unternehmen in internationalen Verbänden und wacht über die Koordination der REE-Aktivitäten mit den Netzbetreibern aus anderen Ländern.

„Wir haben große Anstrengungen zur Integration der erneuerbaren Energien unternommen“, sagt Rodríguez. Ein Blick auf die Produktionszahlen beweisen dies. In den ersten neun Novembertagen war die Windenergie mit produzierten 1.770.486 MWh der stärkste Sektor des spanischen Energiemixes, vor den thermischen Kraftwerken mit 1.369.955 MWh und der Atomenergie mit 1.223.350 MWh. 2008 wurden insgesamt 11,5 Prozent des spanischen Verbrauchs mittels Windparks abgedeckt. 2009 dürfte diese Ziffer noch höher ausfallen. Für wenige Stunden produzierten die Windgeneratoren Anfang November mehr als die Hälfte des Verbrauchs.

Anders als bei früheren extremen Windwetterlagen, mussten keine Windparks vom Netz genommen werden. REE hat dazugelernt. „Die Überproduktion wurde teils exportiert, teils dazu benutzt, in hydraulischen Kraftwerken Wasser in die Stauseen zurückzupumpen, um damit später wieder Strom erzeugen zu können“, erklärt Rodríguez. Für die Zukunft schweben ihm Ladepunkte für Elektroautos vor. Deren Batterien könnten dann nachts die Überproduktion aus den Windparks abnehmen.

Zeit, um sich auf den Erfolgen auszuruhen, gibt es keine. REE geht davon aus, dass der spanische Stromverbrauch auch weiterhin pro Jahr zwischen vier und fünf Prozent wachsen wird. Außerdem könnten bis 2016 bis zu 52.000 MW erneuerbare Energien am Netz sein. 43.000 MW entfallen auf die Windenergie und 9.000 MW auf Sonne. So sehen es die regionalen Entwicklungspläne vor. Ohne einen Ausbau des Transportnetzes und des Verteilernetzes ist dies nicht möglich.

Trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise hält REE deshalb an einem ehrgeizigen Strategieplan fest. Von 2009 bis 2013 sollen vier Milliarden Euro investiert werden. Von 2008 bis 2016 sind es insgesamt sogar 8,5 Milliarden. Dafür werden Hochspannungsleitungen für den Transport, Mittelspannungsleitungen für die Verteilung sowie die dazugehörende Umspannstationen gebaut. Insgesamt soll das Netz zusätzliche 12.000 Kilometer bekommen. 80 Prozent der für den Zeitraum 2008/ 2016 vorgesehenen Maßnahmen sind bereits im Bau oder gar fertiggestellt.

„Schwarze Löcher“ heißt eines der Hauptprobleme der spanischen Stromversorgung. Damit gemeint sind Regionen wie Madrid, Katalonien rund um Barcelona oder die Mittelmeerküste bei Valencia. Dort konzentriert sich eine großer Teil der spanischen Bevölkerung, der Wirtschaft und des Tourismus, und damit auch des Stromverbrauchs. Vor Ort produziert wird jedoch wenig. Vor allem Wind- und Sonnenenergie werden weit weg von den Verbrauchern erzeugt. Deshalb müssen drei große Hochspannungslinien ausgebaut werden. Die Windregionen Galicien im Nordwesten und Castilla-León im Zetrum werden besser an Madrid angeschlossen. Das gleiche gilt für Andalusien und Extremadurien im Süden, wo die meisten solarthermischen Kraftwerke entstehen. Im Oste des Landes werden die Trassen zwischen Katalonien und der Region rund um Valencia verstärkt.

Doch der nationale Ausbau ist nicht das einzige Problem vor dem REE steht. „Spanien ist durch seine periphere Lage in Sachen Elektrizität eine Insel“, sagt Rodríguez. Die Pyrenäen sind bis heute eine Barriere, die nur von zwei großen Hochspannungsleitungen Richtung Frankreich durchstoßen wird. Bei Überproduktion könne von Spanien nach Frankreich gerade einmal 600 MW exportiert werden. Weitere 1600 MW können nach Portugal und 900 MW nach Marokko abgeleitet werden. Umgekehrt kann Spanien bei Bedarf nur 1400 MW aus Frankreich, 1600 MW aus Portugal und 600 MW aus Marokko beziehen. Bei einem Spitzenkonsum von 45.450 MW und einer fast doppelt so hohen installierten Gesamtkapazität sei dies mehr als ungenügend, erklärt Rodríguez. Bis 2016 soll Kapazität der Anbindung an das europäische Netz von bisher drei Prozent der Spitzenleistung auf sechs Prozent verdoppelt werden. „Doch auch dann sind wir noch weit hinter den zehn Prozent, die die Europäische Union empfiehlt. Zentral gelegene Länder verfüge über weit mehr. Deutschland zählt 21 Prozent, Belgien knapp 43 Prozent“, erklärt der REE-Mann.

Die Spanier werden vor allem die Leitung von Barcelona nach Frankreich verstärken. Diese wird gemeinsam mit einer neuen Hochgeschwindigkeitstrasse der Bahn ausgebaut. Wie in anderen Ländern auch, stößt der Bau neuer Hochspannungsleitungen bei der Bevölkerung auf Ablehnung. Deshalb wird eine Teil der neuen Trasse nach Frankreich im Boden verlegt.

„REE hat die Haltung gegenüber uns grundsätzlich geändert“, bestätigt der technische Direktor des spanischen Windenergieverbandes (AEE), Ceña. „Vor sechs Jahren erklärte der damalige REE-Chef, es würden nie mehr als 3.000 MW erneuerbare Energie zeitgleich am Netz sein können“, schüttelt der AEE-Verantwortliche den Kopf. „Mit den jetzt in Angriff genommenen Ausbauplänen können wir bis 2020 die von uns geplanten 41.000 MW Windenergie ans Netz bringen“, zeigt Ceña zufrieden. Vor allem die völlig ausgelastete Hochspannungsleitung Galicien- Madrid habe bisher die Entwicklung der Windenergie im resourcenreichen Nordwesten behindert.

Auch bei den Anlagenbauern, wie Enercon, stoßen die Ausbaupläne von REE auf Zustimmung. „Doch damit ist es nicht getan“ erklärt der für Verkauf und technische Beratung Zuständige Mann des deutschen Unternehmens, Eckard Quitmann. Für ihn gibt es einige wichtige Probleme, die auf eine falsche Netzpolitik in den frühen Jahren der Windenergienutzung zurückgehen. „Zulange wurde die Windenergie als Marginalie angesehen“, berichtet er. So wurde den Betreibern zur Auflage gemacht, dass die Anlagen bei einem Netzfehler sofort abschalten. Dies ist jetzt, wo die Windenergie in Spitzenzeiten zum wichtigsten Lieferanten wird, nicht mehr zeitgemäß. „Die Anlagen müssen nach und nach umgerüstet werden, um Fehler zu durchfahren“, sagt Quitmann. Bei neuen Anlagen ist dies leicht zu bewerkstelligen. Doch bei Altanlagen ist ein solcher Umbau mit erheblichen Kosten verbunden. Rund 10.000 MW ohne fault ride-through – Fähigkeit (FRT) wurden in Spanien installiert. Zwar gibt es für Anlagen, die vor dem 1. Januar 2008 umgerüstet wurden, eine Sondervergütung von fünf Jahre lang 0,38 Cent/kWh, doch decke dies die Kosten in den meisten Fällen nicht. „Betrachtet man den spanischen Markt konnten grob gesagt zehn Prozent der betroffenen Anlagen ohne großen Aufwand nachgerüstet werden, 50 Prozent unter erheblichen Kosten und beim Rest ist es schlicht nicht möglich“, rechnet der Enercon-Mann vor. Vor allem bei alten Generatoren mit 100 bis 500 KW gehe das nicht. Dort bleibe nur das Repowering, sofern es dafür eine Genehmigung gebe.

Außerdem hinke die spanische Gesetzgebung in Sachen Systemdienstleistungen der technischen Realität erheblich hinterher. Bisher liefern die herkömmlichen Kraftwerke die für das Netz nötige Blindleistung. „Heutzutage können dies auch die Windparks“, erklärt Quitmann und begrüßt, dass die Windgeneratoren im Prinzip mit berücksichtigt werden. Gleichzeitig verlangt er eine Modernisierung der Rahmenbedingungen. Bisher wird Import und Export der Blindleistung je nach Tageszeit vom System belohnt bzw. bestraft. Dies führe zu synchronen Abläufen, die sobald alle zeitgleich Blindleistung produzieren zu unerwünschten Spannungsanstiegen führen könne. „Diese Art mit der Blindleistung umzugehen ist völlig veraltet“, sagt Quitmann. Heute sei es möglich die Blindleistung in Echtzeit intelligent zu steuern.

„Doch dazu muss REE die Spielregeln im Netz ändern“, resümiert der Enercon-Netzspezialist. REE steuert solchen unerwünschten Effekten inzwischen wenigstens mit einer vorübergehenden Neuregelung der Boni/Mali entgegen. Gleichzeitig ist ein umfangreiches Regelwerk in Vorbereitung. Seit Monaten debattieren REE und Windbranche intensiv. „Ein erfreulich konstruktiver Dialog, der in Kürze voraussichtlich zu einem der anspruchsvollsten, aber auch klar formuliertesten Grid Cods in Europa führen wird“, zeigt sich Quitmann, der selbst in die Debatte eingebunden ist, optimistisch.

Ignacio Pérez Arriaga hat die Berücksichtigung der erneuerbaren Energien bei der Bereitstellung und der Kontrolle der Blindleistung bereits vor Jahren angemahnt. Das Mitglied der spanischen Königlichen Akademie für Ingenieurswesen ist Professor für Nachhaltige Entwicklung an der Universität Pontificia Comillas in Madrid und zur Zeit Gastprofessor am us-amerikanischen MIT in Cambridge bei Boston. 2005 schrieb er das „Weißbuch“ des spanischen Stromversorgungssystems. Damals machte er sich für viele der jetzt begonnenen Ausbaumaßnahmen stark.

„Spanien ist vorbildlich bei der erreichten, sicheren Einbindung großer Mengen von Windenergie in den Betrieb des Systems“, lobt er heute die REE. Doch weißt Pérez Arriaga abermals auf einen Defekt hin, über den er bereits in seinem Buch schrieb. „Wir haben weiterhin ein Problem wenn es darum geht, den Investoren wirtschaftliche Anreize dafür zu geben, sich an einer Stelle an das Netz anzubinden und nicht an einer anderen“, sagt Pérez Arriaga. Dies sei künftig wichtig, um die Kosten des Netzbetriebes und den Ausbau besser zu kontrollieren. Die spanische Regierung beauftragte die Nationale Energie Kommission (CNE) 2006 mit einer entsprechenden Studie, an der auch Pérez Arriaga mitarbeitete. „Die Regierung ignorierte unsere Studie aufgrund des Drucks einiger Vertreter der Energiebranche, die befürchteten, eine Neuregelung könne sie benachteiligen“, erklärt der Profesor aus Madrid.

Was bisher geschah: