Es ist noch gar nicht so lage her, da galt Spanien in Europa als Vorbild. Das Wachstum lag deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Täglich wurden 1.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Bauindustrie boomte. Immigranten kamen ins Land. Der Arbeitsmarkt schien unersättlich. Doch wer hoch fliegt kann bekanntlich tief stürzen. Genau dies ist jetzt auf der iberischen Halbinsel passiert. Spanien ist nicht nur Opfer der internationalen Finanzkrise. Die hausgemachte Spekulationsblase platzte. 19,4 Prozent sind ohne Arbeit. Dies ist fast das Doppelte des EU-Schnitts. Und das Wachstum betrug im dritten Quartal 2009 –4,0 Prozent. Das Haushaltsdefizit liegt bei knapp 12 Prozent. Spanien führt wieder die Liste an. Dieses Mal die der Krisenverlierer.
Lange wollte der sozialistische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero das Dilema nicht wahrhaben. Bis weit hinein ins Jahr 2008 redete er von einer „Verlangsamung des Wachstums“. Am Ende des selben Jahres hatte eine Million Menschen ihren Job verloren. 2009 dann sprach Zapatero offen von der Krise. Doch sei das Gröbste überwunden. Wieder verloren 800.000 Menschen ihren Job. Damit sind jetzt knapp vier Millionen ohne Arbeit.
„Spanien durchlebt eine wirtschaftliche Rezession, die wir so gut wie hinter uns haben, falls wir nicht schon raus sind“, lautet jetzt Zapateros Analyse. Und einmal mehr strafen ihn die Zahlen Lügen. Spanien brauche mindestens zehn Jahre, um erneut bei der Beschäftigungsrate auf den Stand von vor der Krise zu kommen, heißt es in einer jüngsten Studie des Sparkassenverbandes.
Schlimmer noch: Die Talsohle scheint längst noch nicht erreicht. Diese wird laut Sparkassenverband bei 4,5 Millionen Arbeitslosen liegen. Nach dem Zusammenbruch der Bauwirtschaft und dem daraus folgenden Rückgang des Konsums mit Stellenstreichungen im Einzelhandel sowie im Hotel und Gaststättengewerbe ist jetzt die Industrie an der Reihe. Eine Fluggesellschaft schloss über den Jahreswechsel. Die Automobilindustrie setzte 2009 so wenige Fahrzeuge ab wie zuletzt 1996. Seat kündigte bereits Entlassungen an.
Am härtesten von der Arbeitslosigkeit betroffen sind junge Menschen und Immigranten. Bei den Unter-25-Jährigen haben 43,8 Prozent keine Arbeit. Der Traum von einem Einkommen und den eigenen vier Wänden rückt in weite Ferne. Einmal mehr ist die Familie als Sozialversicherung gefragt. Und bei den Einwanderern liegt die Arbeitslosenzahl rund zehn Prozent über der der Einheimischen. Viele von ihnen arbeiteten auf dem Bau. Und wer sein Brot in der Gastronomie oder in der Landwirtschaft verdiente, muss jetzt mit ansehen, wie die Spanier, die in den Boomzeiten diese Sektoren verließen, zurückkehren. Ein ungleicher Verdrängungskampf ist im Gange.
Plan E heißt das Wundermittel, mit dem Zapateros Regierung den Niedergang der Bauwirtschaft stoppen will. Acht Milliarden Euro flossen im vergangenen Jahr in die Kassen der Städte und Gemeinden. Das Geld war für Verbesserung der Infrastruktur und den Ausbau der öffentlichen Einrichtungen gedacht. Doch selbst skurrile Projekte, wie eine Miniatur-Reproduktion des Brandenburger Tors in einem Vorort von Madrid, wurden damit finanziert.
Für 2010 soll der Plan um weitere fünf Milliarden Euro aufgestockt werden. „Nachhaltige Entwicklung“ heißt dieses Mal das Motto. Doch nur zwölf Prozent des Geldes würden in innovative Projekte und neue Technologien fließen, beschwert sich die spanische Tageszeitung El País. Auch der restliche Haushalt ist wenig zukunftsweisend. So wurden die Ausgaben für Forschung zusammengestrichen. Hunderte von Wissenschaftlern fürchten um ihren Job.
76 Prozent der Spanier haben laut einer Umfrage des Sparkassenverbandes jedwedes Vertrauen in die Krisenpolitik des Sozialisten Zapatero verloren. 68 Prozent werfen ihm vor, spät und schlecht zu informieren. Doch wer glaubt, dies sei die Stunde der Volkspartei (PP) in der Opposition, sieht sich getäuscht. 63 Prozent der Spanier sind davon überzeugt, dass es die Konservativen auch nicht besser machen würden. „Die Bürger sind bestürzt und haben den Eindruck, dass Spanien den falschen Weg eingeschlagen hat“, erklären die Autoren der Studie.
Zapatero möchte jetzt während der spanische EU-Präsidentschaft das erreichen, was ihm zu Hause nicht gelingen will. Er verspricht das Wachstum zu fördern. Dazu schlägt er eine „europäische Wirtschaftsregierung“ vor, die mit „Fördermaßnahmen“ aber auch „korrigierende Maßnahmen“ die Mitgliedsländer zu einer besseren Wirtschaftspolitik bewegen soll. Was diese Wirtschaftsregierung, fall sie Zustande kommt, mit Spanien machen soll, weiß wohl auch Zapatero nicht zu sagen.