„Wenn du Sport treibst, denkst du nicht so viel nach“, erklären Madjou Sallou und Nfaly Tirera. Die beiden jungen Männer aus Mali kommen jeden Nachmittag in den Park von Orcasitas, einem Stadtteil im Süden von Madrid, um ein paar „Körbe zu werfen“. Basketball ist ihre Art abzuschalten – einfach vergessen, dass sie trotz einer vom Jugendamt finanzierten, hervorragenden Ausbildung als Gärtner bzw. Schreiner, nicht arbeiten können – vergessen, dass sie keine Chance haben. Denn Nfaly und Madjou haben weder Aufenthalts- noch Arbeitsgenehmigung.
Die beiden Jungs aus Mali sind nur zwei von vielen. Sie kamen im Sommer 2006 wie über 30.000 andere afrikanische Flüchtlinge auf den Kanarischen Inseln an. Die Bilder von völlig ausgedursteten Menschen in Cayucos, wie die hölzerne Fischerboote aus Westafrika in Spanien genannt werde, gingen um die Welt. Jeder zehnte Flüchtling war minderjährig, darunter auch die gerade einmal 16 Jahre alten Nfaly und Madjou.
Nach spanischem Gesetz können alleinstehende Minderjährige nicht abgeschoben werden. Nach längeren Verhandlungen zwischen den Regionalregierungen, wurden die Betroffenen von den Kanaren aufs Festland gebracht und dort überall in Heime und betreute Wohnungen verteilt. Nfaly und Madjou leben seither mit drei Landleuten in einer Wohnung im Süden Madrids. Die basischristliche NGO „Asociación La Calle“ – „Vereinigung Die Straße“ – und das Jugendamt kümmerten sich um die Jugendlichen.
Sprachkurse und Berufsausbildung bestanden Nfaly und Madjou mit Bravour. Doch als sie volljährig wurden, war alles vorbei. Die Aufenthaltsgenehmigung wurde nicht verlängert, Abschiebebefehle ausgestellt. „Ohne die Unterstützung der Vereinigung wären wir längst nicht mehr hier“, ist sich Madjou sicher. Sein Freund stimmt ihm zu.
„Eigentlich hatte ich mir das ganz anders vorgestellt“, beginnt Madjou zu erzählen. „Ich wollte nicht auf die Schule gehen. Ich wollte arbeiten, um Geld nach Hause zu schicken.“ Dafür hatte ihm sein Bruder, der selbst nach Gabon emigriert ist, die Überfahrt von Mauritanien auf die Kanaren bezahlt. 1000 Euro kassierten die Schlepper von jedem der 35 Personen, für das Boot, die beiden Motor, GPS Sprit und Verpflegung. Drei Tage und die Nächte dauerte die gefährliche Reise ins vermeintliche Glück.
„Irgendwie fühle ich mich schlecht“, sagt der Vorsitzende von „La Calle“, Fernando Saleta. „Wir haben sie mit dem Versprechen auf ein besseres Leben und höhere Löhne dazu gebracht, auf die Berufsschule zu gehen“, fügt er hinzu, „und jetzt stimmt das alles nicht.“ Für Saleta ist die ganze Situation „absurd“: Zehntausende Euro habe die Ausbildung jedes einzelnen seiner Schützlinge gekostet, und „jetzt wo sie arbeiten könnten, wird ihnen das verwehrt, ja sie sollen abgeschoben werden.“ An Angeboten fehle es nicht. So mancher hätte neben den hervorragenden Noten, so gute Leistungen bei den Praktika gezeigt, dass die Betriebe ihn gerne weiterbeschäftigt hätten. Doch ohne Papiere geht das nicht.
Die Vereinigung „La Calle“ bewahrt ihre Jugendlichen zumindest vor der Obdachlosigkeit. Auch jetzt, wo die 2006 aufgenommen 80 Jugendlichen, alle wie Nfaly und Madjou volljährig sind und meist ohne Papiere dastehen, werden sie weiter unterstützt, ihre Wohnungen finanziert. Junge Immigranten, die von anderen Hilfsorganisationen betreut wurden, hatten oft nicht so viel Glück. „Wir kennen Fälle, da wurden die Betroffenen am 18. Geburtstag aus der Ausbildung und der Wohngruppe geworfen“, berichtet Saleta.
Nfaly und Madjou hoffen, dass die Verwaltung irgendwann doch noch einlenkt. Inzwischen hat die Ausländerbehörde in Madrid zumindest teilweise dem Druck der Hilfsorganisationen nachgegeben. Die Aufenthaltsgenehmigungen laufen jetzt nicht mehr automatisch mit der Volljährigkeit ab. Allerdings gilt dies bisher nicht rückwirkend. Heute Abend ruft Madjou wieder zu Hause an, und muss einmal mehr berichten, dass er nicht arbeitet. „Die denken ich wäre faul. Papiere und alle das rechtlichen Zeugs, das verstehen sie einfach nicht“, sagt er mit gedrückter Stimme und versucht schließlich erneut einen Korbwurf.