© 2018 Reiner Wandler

Schluss mit dem Verkehr

Während in Deutschland über Fahrverbote in einzelne Straßen diskutiert und prozessiert wird, macht die spanische Hauptstadt Madrid ernst und verbannt den Verkehr weitgehend aus der Innenstadt. Ab dem 23. November dürfen nur noch Anwohner, deren Besucher, sowie Fahrzeuge mit Sondergenehmigungen, weil ihre Halter etwa im Zentrum arbeiten, in die Innenstadt fahren. Nur die Anwohner dürfen künftig noch auf der Straße parken. Alle anderen Fahrzeuge müssen ins Parkhaus. Absolutes Fahrverbot gilt für Fahrzeuge ohne Umweltplakette. Das sind Benziner, die vor 2000 und Diesel, die vor 2006 zugelassen wurden. Für Zulieferer gibt es eine Übergangsfrist, in der sie ihren Fuhrpark modernisieren müssen.

Anwohner mit einem alten PKW dürfen weiterhin in ihr Parkhaus, aber sollten sie das Fahrzeug wechseln, sind sie gezwungen, ein neueres zu kaufen. Ausgenommen vom Fahrverbot sind alle elektrisch oder mit Gas betriebene Fahrzeuge sowie die mit Hybridantrieb, mit dem sie mehr als 40 Kilometer elektrisch unterwegs sein können. Auch Motorräder brauchen eine Umweltplakette und dürfen nur von sieben Uhr in der früh bis um zehn Uhr abends in der Innenstadt parken. Bis 2025 müssen Taxen auf Gas, Elektro oder Hybrid umstellen.

„Madrid Central“ heisst der Plan der linksalternativen Stadtverwaltung unter Bürgermeisterin Manuela Carmena. Wer ohne Erlaubnis in das gesperrte Gebiet einfährt, muss mit einem Bussgeld von 90 Euro rechnen. Parkhäuser und Zufahrten in die Innstadt werden künftig mit Kameras überwacht. Wer etwa auf Einladung eines Anwohners in der Innenstadt unterwegs war, aber nicht ins Parkhaus gefahren ist, wird so automatisch einen Bussgeldbescheid zugestellt bekommen. In der ersten Monaten will die Stadtverwaltung allerdings nur Informationsbriefe verschicken. Ende Winter, Anfang Frühjahr wird es dann ernst mit den Strafzetteln.

Dadurch soll Madrids Luft sauberer werden. Auf den 472 Hektar der Innenstadt soll die Belastung durch Stickoxyde um 40 Prozent sinken. Madrids Luftverschmutzung ist vor allem in regenarmen Zeiten besonders hoch. Umweltschutzverbände schätzen die Zahl derer, die pro Jahr dank der Luftverschmutzung frühzeitig versterben, auf 2000.

Seit 2015 wurde der Verkehr immer wieder eingeschränkt, weil die Werte deutlich über denen lagen, die von EU-Richtlinien erlaubt sind. Diese Fahrverbote wird es bei Bedarf auch künftig geben und betreffen dann auch die Anwohner. Bevor Bürgermeisterin Carmena ins Rathaus einzog, gab es zwar bereits einen Plan für hohe Luftverschmutzung, er wurde allerdings nicht umgesetzt. Den Konservativen galten Massnahmen gegen des Spaniers liebstem Kind, dem Privat-PKW, als unpopulär. Madrid wurde deshalb mehrmals von der EU abgemahnt.

Die Einschränkung des Straßenverkehrs ist nicht die einzige Massnahme, die ab Ende November in Kraft tritt. Auf den einstigen großen Durchgangsstraßen, wie etwa der Gran Vía, werden die Bürgersteige verbreitert. Auf Einbahnstraßen und solchen mit nur einer Spur pro Fahrtrichtung darf nur noch 30 km/h gefahren werden. Das gilt für das gesamte Stadtgebiet und betrifft 85 Prozent des innerstädtischen Straßennetzes. In der Altstadt, wo sich Anwohnerverkehr und Fussgänger die engen Gassen teilen, muss künftig Schritttempo eingehalten werden. Gleichzeitig wird das öffentliche, gemeindeeigene Netz für elektrische Mietfahrräder ausgebaut.

Die Stadtverwaltung der 74-jährige ehemalige Richterin Carmena, die mit dem Bürgerbündnis „Ahora Madrid“ („Jetzt Madrid“) rund um die Partei Podemos seit 2015 die Geschicke der spanischen Hauptstadt lenkt, traut sich damit an etwas heran, was ihre Vorgängerin Ana Botella, Konservative und Ehefrau des einstigen spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar in den Schubladen ganz unten verschwinden ließ. Deren nie umgesetzter Plan sah ebenfalls eine Sperrung der gesamten Innenstadt vor. „Es ist eine sehr ehrgeiziger Plan“, erklärt Umweltbügermeisterin Inés Sabanés. Sie weiß, dass Madrid damit über eine Verkehrspolitik verfügt, wie es sie ausser in Skandinavien nirgends in europäischen Großstädten umgesetzt wird. Die norwegische Hauptstadt etwa, duldet ab kommendem Jahr überhaupt keinen privaten PKW-Verkehr mehr in der Innenstadt.

In Spanien gibt es nur wenig Kommunen, die sich so radikal an das Thema Verkehr herantrauen wie Madrid. In nordspanischen Pontevedra ist die Innenstadt seit knapp zehn Jahren weitgehend verkehrsfrei. Das gleiche gilt für den Madrider Vorstadt Getafe. In Pontevedra leben 82.000 Einwohner, in Getafe 176.000. Alleine im Zentrum Madrids sind es rund 150.000.

Die Konservative Partido Popular (PP), die Madrid vor 2015 24 Jahre lang ohne nennenswerte Verkehrspolitik regierte, verlangt mit Blick auf die Stadtratswahlen im kommenden Mai, „Madrid Central“ auszusetzen. Er sei „antidemokratisch“ und schaffe ein „elitäres Ghetto“ für Innenstadtbewohner. „Wir wollen keine städtische Mobilität, damit einige wenige besser leben“, schließt sich die Kommunistische Partei Spaniens dem an. Auch Verbände des Einzelhandels und der Gastronomie, sowie Eltern von Privatschulen beschweren sich. Die einen fürchten um Kunden, die anderen wollen weiterhin ihre Sprösslinge im Auto zur Schule chauffieren.

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