„Es gibt keinen Konsens mehr, um die Beziehungen Beji mit Ennahda aufrecht zu erhalten“, verkündete der tunesische Präsident Beji Caid Essebsi am Montag Abend in einem Interview im Privatfernsehen El-Hiwar Ettounsi TV. Der Bruch des als weltliche Politikers geltenden Essebsi mit den gemässigten Islamisten nach Jahren intensiver Zusammenarbeit ist der vorläufige Höhepunkt einer Krise, die seit Monaten schwelt. Ennahda ist dabei eher der Kollateralschaden, als der wirkliche Grund. Es geht eigentlich um einen Grabenkrieg innerhalb von Nidaa Tounes, der von Essebsi 2012 ins Leben gerufenen Partei, die mit der Unterstützung von Ennahda das Geburtsland des arabischen Frühlings regiert.
In Nidaa Tounes bekämpfen sich Parteichef und Sohn des tunesischen Präsidenten Hafedh Caid Essebsi und der Premierminister Youssef Chahed. Ennahda hatte sich in dem Streit – aus Gründen der Stabilität Tunesiens, wie Parteichef Rachid Ghannouchi beteuert – auf die Seite des Premier geschlagen. „Nach fünf Jahren des Konsens hat die Bewegung Ennahda vergangenen Woche beschlossen diesen Konsens auf eigene Bitte zu beenden“, wertete Präsident Essebsi dies im Interview. Der Schulterschluss mit dem Gegner von Sohnemann Hafedh sei „ein Wechsel ins andere Lager“. Er habe mit „Rachid Ghannouchi gesprochen und wir waren uns nicht einig“ fügte Papa und Präsident Essebsi hinzu.
Als Unterstützung seines Sohnes will Essebsi die Entscheidung dennoch nicht bewertet sehen. „Es wäre von Vorteil für Tunesien wenn beide gingen, oder ihrer Auseinandersetzung beenden“, sagte der Präsident und beteuerte dann, dass er keine vorgezogenen Neuwahlen anstrebe. Die Tunesier sollen erst am Ende der Legislatur, Ende 2019, an die Urnen gerufen werden. Eine weitgehend stabile Regierung wird es auch weiterhin geben. Denn Premier Youssef Chahed, der seit Sommer 2016 im Amt ist, kann auf die Unterstützung von Ennahda und der ihm treuen Abgeordneten aus den Reihen der bisherige Nidaa Tounes-Fraktion rechnen.
„Leider hat die Kampagne bereits jetzt begonnen“, erklärte Essebsi. Auch er weiß, dass es beim Streit in Nidaa Tounes nicht nur um persönliche Befindlichkeiten geht. Alles dreht sich in Tunesien um die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Premier Chahed ist zwar der jüngste Premier, den Tunesien seit der Revolution 2011 hatte, und keiner war bisher so lange im Amt, wie er, doch macht er sich mit seiner Politik im Volke nicht nur Freunde. Er setzt auf Privatisierung von Staatsbetrieben wie etwa die Fluggesellschaft Tunisair und Banken sowie die Streichung von Subventionen bei Grundnahrungsmitteln, um den Staatshaushalt zu sanieren. Die Islamisten von Ennahda, die wie die meisten ihrer Gesinnungsbrüder in der arabischen Welt auch, eher neoliberal gesonnen sind, unterstützen Hafedh bisher dabei. Gegenwind kommt hauptsächlich von der mächtigen Gewerkschaftszentrale UGTT. Diese hat namhafte Vertreter innerhalb von Nidaa Tounes.
Die Partei war von Anfang an ein Mischmasch aus wirtschaftsliberalen Nationalisten und eher sozialdemokratisch eingestellten Politiker. Das Bündnis war überhaupt nur möglich, da es darum ging, den Übergang von der im Januar 2011 gestürzten Diktatur hin zur Demokratie zu sichern und dafür zu sorgen, dass das neue Tunesien die modernen Errungenschaften, wie etwa die weitgehende Gleichstellung der Frau, im Übergangsprozess nicht verliert.
Doch erst einmal in der Regierungsverantwortung, ließen die Flügelkämpfe ließen nicht auf sich warten. Bis zu den kommenden Wahlen wird sich die Parteienlandschaft vermutlich grundlegend ändern. Und auch im Präsidentenpalast könnte ein neuer Mieter gebracht werden. Denn Beji Caid Essebsi erklärte im TV-Interview, dass er nicht sicher sei, ob er erneut antreten will. Er ist 91 Jahre alt.