Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez will den Herbst ganz und gar dem Katalonienkonflikt widmen. Das versprach er noch im Urlaub. Kaum zurück, machte er im Vorfeld des katalanischen Nationalfeiertag vom morgigen Dienstag einen ersten Vorschlag. Er will ein Referendum in der rebellischen Nord-Ost-Region über mehr Autonomie. „Es gehe beim Katalonienkonflikt „nicht um die Unabhängigkeit, sondern um das Zusammenleben“, erklärte der Sozialist Sánchez, der im Juni nach einem Misstrauensvotum gegen den Konservativen Mariano Rajoy an die Regierung kam, immer wieder.
Der katalanische Regierungschef Quim Torra sieht das anders. Zwar spricht auch er im Vorfeld des Nationalfeiertags, der Diada, immer wieder von einem Referendum. Doch er will „eine verbindliche Volksabstimmung über die Selbstbestimmung“ Kataloniens. Als Vorbild dient die Volksabstimmung in Schottland im Jahr 2014, die von schottischen Nationalisten und der Tory-Regierung in London unter David Cameron ausgehandelt worden war. Bei Umfragen sprechen sich immer wieder bis zu 80 Prozent der Katalanen für einen solchen Urnengang aus, um den Konflikt ein für alle mal zu lösen.
Der Konsens in Katalonien ist deshalb für Torra nicht die erneute Abstimmung über ein Autonomiestatut, sondern das „des Rechts frei zu entscheiden“. Die katalanische Regierung wirft Sánchez vor, die Debatte ins Jahr 2006 zurückdrehen zu wollen. Damals gab es in Katalonien bereits ein Referendum über eine weitergehende Selbstregierung innerhalb Spaniens. Das damalige, reformierte Autonomiestatut wurde von 73,9 Prozent der Wähler angenommen. Das Verfassungsgericht kassierte vier Jahre später dennoch einen Großteil der Reformen ein. Geklagt hatte die konservative Partido Popular (PP) unter dem im Juni vom Parlament abgewählten Mariano Rajoy.
Die Unabhängigkeitsbewegung wächst seither ständig und reklamiert heute in Umfragen die Hälfte der Bevölkerung der reichsten spanischen Region für sich. Vor knapp einem Jahr, am 1. Oktober 2017 hielt die katalanische Regierung trotz Verbot aus Madrid ein Unabhängigkeitsreferendum ab. Von den knapp 2,3 Millionen – 43 Prozent der Wahlberechtigten – die trotz polizeilicher Repression zur Wahl gingen, stimmten über 90 Prozent für die Loslösung. Die spanische Justiz reagierte mit Verhaftung von Regierungspolitikern sowie der Zwangsverwaltung Kataloniens. Der damalige katalanische Regierungspräsident Carles Puigdemont lebt seither im Exil. Torra sieht im Ergebnis des 1. Oktobers den Auftrag an seine Regierung, die katalanische Republik Wirklichkeit werden zu lassen.
Sánchez geniest mit seinem Vorschlag nicht einmal die Unterstützung durch die anderen spanienweiten agierenden Parteien. Der wichtigste Partner seiner Minderheitsregierung, die linksalternative Podemos, tritt wie die Befürworter der Unabhängigkeit Kataloniens für ein verbindliches Unabhängigkeitsreferendum ein, auch wenn die Partei für einen Verbleib der Katalanen in Spanien ist. Und die konservative Partido Popular (PP) sowie die rechtsliberalen Ciudadanos (Cs) lehnen jedweden Urnengang ab. Ein Ausbau der Autonomierechte gilt ihnen als Verstoss gegen die spanische Einheit. „Will Sánchez ein neues verfassungswidriges Autonomiestatut?“ fragte der Cs-Chef Albert Rivera mit Blick auf das Verfassungsgerichtsurteil gegen die Statutreform von 2006.
Während Regierungen in Madrid und Barcelona in dieser angespannten Lage weiter den Dialog beschwören, ohne sich wirklich näher zu kommen, mobilisiert die Unabhängigkeitsbewegung. „Machen wir die katalanische Republik“, lautet auch das Motto der Kundgebung für den katalanischen Nationalfeiertag Diada am morgigen 11. September. Es wird erwartet, dass wie in den vergangenen Jahren auch, Hunderttausende mit ihren Fahnen eines unabhängigen Kataloniens die Straßen Barcelonas füllen.