„Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung“, steht auf dem Transparent, das ein Gruppe von 150 Menschen an der Abzweigung zum Valle de los Caídos – dem Tal der Gefallenen – in den Bergen unweit der spanischen Hauptstadt Madrid aufgespannt hat. Hier in einem malerischen Gebirgskessel befindet sich seit 1959 eine in den Fels gehauene Basilika. Im Innenraum der Kirche befindet sich das Grab des Gründers der Faschistenpartei Falange, José Antonio Primo de Rivera und vor dem Hauptalter ist seit 1975 der langjährige Diktator General Francisco Franco beerdigt, der den Bau des Monumentes mit einem 153 Meter hohen Kreuz, das von weither zu sehen ist, einst selbst in Auftrag gab. In den Jahren der Diktatur wurden die Überreste von 31.000 Gefallenen aus dem spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) beider Seiten, aus Massengräbern geholt und in Felsgalerien bestattet. Für Franco war dies seine Art der Aussöhnung.
Seit mehreren Wochen kommt es immer wieder zu Kundgebungen in und am Valle de los Caídos. Denn der einbalsamierte Leichnam des Diktators soll noch diesen Sommer aus der Basilika entfernt und der Familie übergeben, das Momunemt anschließend zur Gedenkstätte für die Kriegsopfer werden. So kündigte es die im Juni per Misstrauensvotum an die Macht gekommene Regierung des Sozialisten Pedro Sánchez an. Leicht wird das nicht. Denn die Franco-Familie und der Prior des Benediktinerkloster, dem die Basilika untersteht wehren sich gegen das was sie „Profanierung der Grabstätte“ nennen. Junge und Alte Ewiggestrigen versammelten sich nur wenige Tage nach der Ankündigung zur mit Faschistengruß und -fahnen zur Messe am Grab des Diktators.
Die Befürworter der Entfernung Francos zogen nach. „Denn ein solches faschistisches Denkmal wäre in Deutschland oder Italien undenkbar“, erklärt Javier Sáenz, warum sie gekommen sind. Der 65-jährige, pensionierte Redakteur des öffentlichen Fernsehens TVE gehört zur „Comuna“, der Vereinigung ehemaliger politischer Gefangener und Exilierten aus der Zeit des Franco-Regimes. Sáenz war Mitglied der antifranquistischen Oppositionsorganisation FRAP ging im Spätsommer 1975 nach Toulouse in Exil. „Kurz bevor Franco drei unserer Genossen und zwei der baskischen Organisation ETA hinrichten ließ“, erinnert er sich. Es waren die letzten Erschießungen unter Franco, der am 20. November 1975 anders als seine einstigen Verbündeten Hitler und Mussolini friedlich im Bett verstarb.
„Wenn es nach mir ginge, würde ich das Kreuz am liebsten sprengen“, sagt Sáenz. Dann fügt er schnell hinzu: „Nein, es wäre besser das Monument nach der Umbettung von Franco zur Gedenkstätte für die Opfer der Diktatur zu machen.“ „Spanischer Holocaust“ nennt er die halbe Millionen Opfern, die der Putsch Francos und der anschließende Bürgerkrieg 1936 bis 1939 gegen die demokratische Republik forderten. Über 1o0.000 Opfer einer Säuberungswelle liegen bis heute irgendwo in Massengräbern, auf Friedhöfen und in den Straßengräben des Landes.
Die von Zwangsarbeitern in den Fels getrieben Basilika ist das am dritt meistbesuchte Monument des staatlichen Kulturerbes Spaniens. Borja Valero ist einer der 400.000, die pro Jahr kommen. Der 22-jährige Arbeitslose ist mit zwei Freunden eigens aus der mehr als vier Autobahnstunden entfernten Mittelmeerstadt Valencia angereist. „Das Grab sehen, bevor es entweiht wird“, sagt er. Der ganz in schwarz gekleidete junge Mann ist strikt verlangt „Respekt“. Schließlich habe Franco für Spanien „Großes geleistet“. Zum Beispiel? „Die Sozialversicherung hat er eingeführt und das Weihnachtsgeld“.
Für Valero, der um den Hals und auf der Brust einen riesigen Rosenkranz tätowiert hat, ist die geplante Umbettung ein „Racheakt der Roten, die nicht wollen, dass der Staatschef zusammen mit den ihrigen beerdigt liegt“. „Hätte Franco mit seinem Putsch keinen Erfolg gehabt, wäre Spanien heute ein Land wie Venezuela“, sagt er bevor er in die Basilika geht, das Grab des Mannes zu besuchen, „der seine eigene Art hatte, die Dinge zu sehen“.
Doch längst nicht alle Besucher gewinnen der Diktatur Gutes ab. „Ich bin nicht wegen Franco hier, sondern wegen all der Menschen, die beim Bau des Monumentes ums Leben gekommen sind und natürlich nicht zuletzt wegen der herrlichen Landschaft“, sagt Nani Serrano. Auf die Pläne der Regierung angesprochen überlegt die 48-jährige Informatikerin eine Weile und antwortet dann: „Ein Museum über den Krieg und die Jahre des Franquismus wäre vielleicht besser als das, was es jetzt ist.“
Unter dem riesigen in Stein gehauenen Staatswappen der Franco-Zeit neben dem Eingang der Basilika macht Matea, die ihren Nachnamen nicht preis geben will, mit ihrer Familie Erinnerungsfotos. „Mein Großvater ist einer derer, dessen Überreste hier her gebracht wurden“, berichtet die 61-jährige Psychologin. Der liberale Republikaner sei Bürgermeister in einem Ort in Zentralspanien gewesen. „Als der Bürgerkrieg begann, wurde er von linken Milizionären ermordet. Wäre das nicht passiert, hätten ihn irgendwann, wohl die Faschisten umgebracht“, ist sich Matea sicher. Bürgerkriege sind selten zweidimensional.
Matea, die sich politisch als mitte-links einstuft, will, das alles bleibt wie es ist. „Mir geht es nicht um Sieger und Besiegte, sondern um Aussöhnung“, sagt die. Und die habe mit dem Übergang zur Demokratie nach Francos Tod stattgefunden. „Wer daran rührt, der macht das aus parteipolitischen Interessen“, wirft sie Ministerpräsidenten Sánchez vor, und verweist auf namhafte Sozialisten, die das ähnlich sehen.
Unten an der Abzweigung geht mittlerweile die Kundgebung zu Ende. Ana Iglesias, deren Großvater im Gefängnis starb und deren Onkel jahrelang als „Rote“ in Haft waren, ist mit der Geschichtsinterpretation von Matea nicht einverstanden: „Beim Übergang zur Demokratie wurde alles getan, was damals möglich war. Aber das ist nicht genug.“ Die Umbettung und die Umwandlung des Valle des los Caídos zur Gedenkstätte sei „eine Frage der demokratischen Hygiene.“ Immer wieder hupen vorbeifahrende Autos den Demonstranten zu. Einer der Beifahrer grüsst mit erhobener Faust. Iglesias winkt sichtlich gerührt zurück.