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ETA hat sich entwaffnet

Die baskische Separatistenorganisation ETA hat die Waffen abgegeben. Am vergangenen Samstag um 8:10 Uhr überreichte der Sprecher der Initiative „Bakegileak“ („Handwerker des Friedens“), Txetx Etcheverry im Rathaus der franco-baskischen Stadt Bayonne GPS-Daten und Inventarliste von acht Waffenverstecken im und rund um das französische Baskenland. Etcheverry, dessen Friedensgruppe die Dokumente zuvor von ETA, die seit 2011 einen „endgültigen Waffenstillstand“ einhält, bekommen hatte, überreichte die Papiere unter Aufsicht des Bürgermeisters von Bayonne und dem Ehrenpräsidenten der französischen Liga für Menschenrechte den beiden Priestern Harold Good und Matteo Zuppi.

Die beiden übermittelten die Angaben an die französische Polizei. Diese räumte unter Aufsicht von 172 Angehörigen der „Handwerker des Friedens“ die Verstecke, die 118 Feuerwaffen, rund 3 Tonnen Sprengstoff, über 25.000 Schuss Munition und größere Mengen an Zündern enthielten. Der irische Methodist Good war einer der beiden Augenzeugen, als die nordirische IRA ihr Waffenarsenal vernichtete. Zuppi ist Erzbischof im italienischen Bologna und hoher Vertreter des Vatikans.

„ETA ist vollständig entwaffnet“, bestätigte im Laufe des Vormittags Ram Manikkalingam, Vertreter der sechsköpfigen Kommission zur Überwachung des Waffenstillstands (CIV), die seit 2012 arbeitet. Manikkalingam gehört der Rockefeller Stiftung an und war als Beobachter an den Friedensprozessen in Nordirland und Sri Lanka beteiligt. ETA wurde 1958 im Untergrund gegen die Diktatur des Generals Francisco Franco gegründet. Über 800 Menschen kamen bei ihren bewaffneten Aktionen ums Leben.

Die Aktion der baskischen Zivilgesellschaft war notwendig geworden, da weder die spanische noch die französische Regierung in den fünf Jahren Waffenstillstand auf ETA zugegangen waren. ETA hatte mehrmals versucht, mit der spanischen Regierung in Gespräche einzutreten. ETA-Unterhändler die in Norwegen verweilten, wurden 2013 auf Druck Madrids ausgewiesen und später in Frankreich verhaftet. ETA wandte sich daraufhin an die Zivilgesellschaft.

Die „Handwerker des Friedens“ entstanden. Ihre Arbeit war nicht leicht. Sprecher Etcheverry und vier weitere Aktivisten wurde am vergangenen 16. Dezember festgenommen, als sie ein erstes ETA-Waffenlager auflösen wollten. Ende vergangenen Jahres forderten daraufhin 700 gewählte Volksvertreter aller politischen Richtungen aus dem französischen Baskenland von der Regierung in Paris schriftlich, Gespräche mit ETA über die Entwaffnung aufnehme. Als dies ungehört blieb, begannen die „Handwerker“ die Aktion vom vergangenen Samstag vorzubereiten.

Während der französische Innenminister Matthias Fekl von „einem großen Schritt“ und „einem unbestreitbar wichtigen Tag“ sprach, veröffentlichte die Regierung des Konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy in Madrid nur ein knappes Kommuniqué. Darin fordert die spanische Regierung „die Auflösung“ ETAs, die „Bitte um Verzeihung“ bei den Opfern. Gespräche werde es weiterhin keine geben.

Genau das verlangte einmal mehr der Generalsekretär und Abgeordnete der ETA-nahen Partei Sortu, Arnaldo Otegi. Er forderte am Samstagnachmittag bei einer Kundgebung in Bayonne vor Zehntausenden, dass die 350 Gefangenen, die über ganz Spanien und Frankreich verteilt sind, ihre Strafe heimatnah verbüssen können und schwerkranke Häftlinge freigelassen werden. Außerdem forderte der Linksnationalist, der einst selbst ETA angehörte und als einer der Initiatoren des Gewaltverzichtes gilt, eine „Entmilitarisierung“ des Baskenlandes. Trotz Ende der Gewalt vor fünf Jahren sind dort mit 669 Polizisten pro 100.000 Einwohner doppelt so viele Beamte stationiert, wie im EU-Schnitt.

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Meine Meinung

Fehlende Großzügigkeit und Weitsicht

ETA hat die Waffen abgegeben. Über fünf Jahre nach dem einseitig verkündeten Waffenstillstand ist der Verzicht auf Gewalt durch die baskische Separatistenbewegung damit endgültig besiegelt. Im Baskenland zieht nach und nach Normalität ein. In den Dörfern und Stadtteilen, in denen die Menschen einst mit Angst und Hass lebten, ist die Aussöhnung von unten längst im Gange. Dazu braucht es Mut und Großzügigkeit von beiden Seiten. Viele Menschen im Baskenland beweisen dies Tag für Tag.

Nur einer der Akteure ignoriert die Entwicklung geflissentlich: Die spanische Regierung des Konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. Diese hatte das Ende der Gewalt geerbt. ETA verkündete Oktober 2011 noch unter Rajoys Vorgänger, dem Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero, vermutlich nach Gesprächen mit dem Innenministerium, die „endgültige Einstellung aller bewaffneten Aktionen“. Rajoys Partido Popular (PP), demonstrierte damals zusammen mit den ihr treu ergebenen Teil der Opfervereinigungen mehrfach gegen Zapatero. Er würde die Demokratie und Einheit Spaniens verraten, hieß der schwerwiegende Vorwurf. Einmal an der Regierung tat die PP nichts, um die Lage zu entspannen, auf ETA zuzugehen und die Übergabe der Waffen zu erleichtern.

Auch jetzt will die Regierung von Zugeständnissen nichts wissen. Das wiegt schwer. Denn nach dem Ende der Gewalt ist es weniger akzeptabel denn je, dass hunderten ETA-Gefangenen die elementarsten Rechte vorenthalten werden. So dürfen sie ihre Haft nicht – wie alle anderen Häftlinge – heimatnah verbringen. Selbst schwerkranke Gefangene bekommen keine Haftverschonung. Die Zerstreuung über ganz Spanien wurde einst als Druckmittel gegen die Separatisten eingeführt. Diese Haftpolitik beizubehalten entbehrt jedweder Erklärung. Von Irland bis nach Kolumbien, zeichnete Großzügigkeit von beiden Seiten Friedensprozesse immer aus – nicht so in Spanien unter Rajoy.

Es ist die Stunde der Politik. Zumindest wenn man Madrid Glauben schenken will. Die großen Parteien warfen den baskischen Separatisten immer wieder vor, politische Ziele nicht mit politischen Mitteln zu verfolgen, sondern mit Gewalt. Doch gleichzeitig verbieten die Konservativen mit Unterstützung durch die Sozialisten den Katalanen, die anders als die Basken immer friedfertig für ihre Unabhängigkeit eintraten, das Recht auf eine Volksabstimmung über Verbleib oder Loslösung von Spanien. Katalanische Politiker, die in Barcelona regierten, als die Bevölkerung unverbindlich befragt wurde, landen vor Gericht. Ihnen werden die Bürgerrechte aberkannt.

ETA ist Geschichte. Das Streben nach Unabhängigkeit der Basken ist es nicht. Ganz im Gegenteil, der Gewaltverzicht gibt der Unabhängigkeitsbewegung mehr Legitimität. Bald schon wird die Mehrheit der Basken, wie heute bereits die Katalanen, eine Volksabstimmung einfordern.

Rajoy glaubt den Konflikt um Katalonien und das Baskenland aussitzen zu können. Er beweist damit, dass es ihm nicht nur an Großzügigkeit sondern – und das wiegt viel schwerer – auch an politischem Weitblick fehlt.

Was bisher geschah: