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Ein Psychiater für Marokko

Rationalist, Wissenschaftler und religiöser Rechtsgelehrte … der neue marokkanische Regierungschef Saad Eddine El Othmani bringt all dies unter einen Hut. Der 61-jährige Sohn einer einflussreichen Berberfamilie aus Inezgane, einer südmarokkanischen Kleinstadt unweit von Agadir ist die Nummer 2 der stärksten Partei Marokkos, der islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD). Er nennt mehrere Hochschulabschlüsse sein eigen. Neben Medizin studierte er Psychiatrie und islamisches Recht. Schon in jungen Jahren interessierte er sich für Politik. Als Gymnasiast und Student verschlang er die Schriften der Gründer der Muslimbrüder in Ägypten.


El Othmani – als marokkansicher Aussenminister – 2012 in Washington DC mit Hillary Clinton. /Foto: US Departement of State

Bald schon schloss er sich unterschiedlichen, illegalen islamistischen Gruppierungen an. 1981, nach den Revolten in Folge von Brotpreiserhöhungen, verbrachte er mehrere Wochen im Gefängnis. Schließlich gehörte er Ende der 1990er Jahre zu den Islamisten, die Weg in die Legalität suchten. Eine Reihe religiös-politischer Gruppierungen traten in die Volksbewegung für konstitutionelle Demokratie (MPCD), Partei eines der Helden der marokkanischen Unabhängigkeit – Abdelkrim Al Katib, ein. 1997 wurde El Othmani erstmals ins Parlament gewählt.

Aus der MPCD wurde die heutige Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD). El Othmani wurde zuerst Vice-Generalsekretär und 204 schließlich Generalsekretär. 2007 – nach verpatzten Wahlen – wurde er von seinem Weggefährten und späterem Ministerpräsidenten Abdelilah Benkirane auf Platz 2 in der Parteihierarchie verwiesen. Benkirane gewann 2011 die Wahlen. El Othmani, der 2010 und 2011 Vizepräsident des marokkanischen Parlamentes war, wurde für zwei Jahre (2012-2013) sein Aussenminister. Bereits seit 2002 sitzt er im Beraterstab der Maghrebunion.

Der verheiratete Vater dreier Kinder hat mehrere medizinische Fachbücher veröffentlicht. Ausserdem schrieb er einige Werke über islamisches Recht und stand mehreren Redaktionen islamistischer Zeitschriften und einem Verlag vor.

El Othmani gilt vielen als der Gemässigtste unter den PJD-Führern. So befürwortet er die Legalisierung des Cannabis und – in bestimmten Fällen – das Recht auf Abtreibung. Genau dieser Ruf des moderaten und toleranten Islamisten war es wohl, der König Mohamed VI. dazu veranlasste El Othmani mit der Regierungsbildung zu beauftragen, nachdem die möglichen Koalitionspartner den bisherigen Ministerpräsidenten, den populären Benkirane scheitern ließen.

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