© 2014 Reiner Wandler

Die Schlacht um Karthago

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Tunesien beendet am kommenden Sonntag einen Wahlmarathon. Mit der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen wird das Land, in dem vor vier Jahren der arabische Frühling begann, nach dem Parlament auch die Staatsspitze, wie in der neuen Verfassung vorgesehen, besetzen. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem scheidenden Übergangspräsidenten Moncef Marzouki und dem Vorsitzenden der im Oktober bei den Parlamentswahlen siegreichen Nidaa Tounes (Der Ruf Tunesiens), Béji Caïd Essebsi, erhitzt die Gemüter der 5,2 Millionen im Wahlberechtigten.

Der 88-jährige Essebsi geht als Favorit im Rennen um den Präsidentenpalast in Karthago, unweit der Hauptstadt Tunis. Bei der ersten Runde vor einem Monat konnte er 39,46 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Sein Kontrahent Marzouki musste sich mit sechs Prozent weniger zufrieden geben.

Sollte Essebsi gewinnen, wird er endgültig zum neuen starken Mann des Landes. Denn seine vor zwei Jahren gegründete Partei Nidaa Tounes gewann im Oktober die Parlamentswahlen. Nidaa Tounes ist ein Sammelsurium aus Liberalen, Gewerkschaftern aber auch ehemalige Mitglieder der Einheitspartei RCD des am 14. Januar 2011 gestürzten Diktators Zine el-Abidine Ben Ali. Sie vereint hauptsächlich der Wunsch den Islamisten von Ennahda, die in den Jahren des Übergangs regierten, den Weg zu verbauen, was im Oktober gelang.

Essebsi schreibt sich ein „modernes, säkulares Tunesien“ auf die Fahne. Er führt seine lange politische Erfahrung ins Feld und verspricht Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung. Er war unter dem ersten Präsidenten Tunesiens nach der Unabhängigkeit von Frankreich 1956, Habib Bourguiba, Innen-, später Aussenminister. Unter Ben Ali stand er zwei Jahre dem völlig machtlosen Parlament vor, bevor er sich aus der ersten Linie der Politik zurückzog. Nach dem Sturz Ben Alis wurde der politische Veteranen Chef der Übergangsregierung und führte Tunesien zur Wahl der Verfassungsgebenden Versammlung im Oktober 2011, die von der islamistischen Ennahda gewonnen wurde.

Es ist dieser Werdegang und die Tatsache, dass er ehemalige, teilweise führende Mitglieder der aufgelösten Einheitspartei RCD um sich scharrt, die sein Gegner Marzouki im Wahlkampf nutzt. Er warnt vor „der Rückkehr des alten Reimes“, verspricht die „Werte der Revolution“ zu verteidigen. Die Strategie ging im ersten Durchgang auf. Der 69-jährige, ehemalige Oppositionelle und Menschenrechtler kam auf Platz 2, obwohl er keine eigene Hausmacht hat. Seine kleine ebenfalls säkulare Partei, Kongress für die Republik (CpR), unterstütze nach den Wahlen 2011 die siegreiche Ennahda. Dadurch wurde Marzouki zum Übergangsstaatschef. Vergangenen Oktober straften die Wähler in dafür ab. Der CpR verlor 25 seiner 29 Parlamentssitze. Dass er dennoch gegen Essebsi in die Stichwahl kam, verdankt Marzouki vor allem den Ennahda-Wählern, um die er wirbt. Denn die Islamisten schickten keinen eigenen Kandidaten ins Rennen.

Als „politisch Toter, der Dank Ennahda wiederauferstanden ist“ bezeichnet Essebsi immer wieder und stellt Marzouki damit in die Ecke der Islamisten. Aus dem Rennen zweier von Haus aus säkularen Politiker wird dadurch erneut ein Kampf zwischen religiösem und weltlichem Politikverständnis. Ein Konflikt, in dem sich Essebsi gerne und erfolgreich bewegt.

Mehrere kleinere, liberale, sozialdemokratische und säkularen Parteien unterstützen Essebsi in der zweiten Runde. Die linke Volksfront unter Hama Hammami der beim ersten Durchgang dritter wurde, empfiehlt ihren Anhängern, auf keinen Fall Marzouki zu wählen. „Er ist der Kandidat der Islamisten“, warnt auch die Volksfront, ohne jedoch zur Wahl Essebsis aufzurufen.

Marzouki gibt sich dennoch nicht geschlagen. Er wirbt um diejenigen, die bei der ersten Runde zu Hause blieben. Das gilt vor allem für die Jugend, die einst die Revolution trug. Dabei wendet er wenn nötig auch schmutzige Tricks an. „Wenn wir nicht gewinnen, dann war Wahlbetrug im Spiel“ erklärte er im Wahlkampf. Die tunesische Wahlaufsicht, die sowohl 2011 als auch jetzt wieder von internationalen Organisationen für ihre Arbeit gelobt wurde. mahnte Marzouki umgehend ab.

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