„Die generelle Krise der Printmedien erklärt dies nur teilweise“, sagt der Medienwissenschaftler der Madrider Universität Complutense, Rafa Díaz. „Die traditionellen Publikationen haben in den letzten Jahren stark an Glaubwürdigkeit verloren. Allen voran El País„, fügt er hinzu. Die größte Zeitung des Landes, die in den 1970er Jahren entstand, als sich Spanien auf dem Weg von der Diktatur zur Demokratie machte, war Referenz für ein breites Spektrum von mitte-links bis link. In den letzten Jahren sei, so Díaz, ein Wechsel in der Blattlinie zu verzeichnen. El País entwickle sich hin zu einem wirtschaftsliberalen Blatt. In Zeiten der Krise verteidigt die Zeitung immer wieder die Sparrezepte aus Brüssel. Teile der Leserschaft suche enttäuscht nach neuen Medien.
Auch Gonzalo Boye, Anwalt aus Madrid und Herausgeber des Satiremagazins Mongolia, beobachtet diese Entwicklung und hat eine Erklärung parat: „Prisa, das Verlagshaus von El País, schuldet 3,5 Milliarden Euro unter anderem an die Großbanken Santander und Caixa und hat Aktien an den deutsch-amerikanischen Investor Nicolas Berggruen verkauft. Seither sitzen Bankenvertreter in den Gremien, die mit über Linie der Medienholding und damit der El País entscheiden“, sagt Boye.
Seine vor zwei Jahren entstandene Mongolia ist eines der wenigen neuen Medien auf Papier. Neben dem „Humor für gut informierte Leser“, enthält das Blatt mit monatlich 40.000 Exemplare „Reality News“. Dort wird immer wieder die Verflechtung von Finanzwelt und Medien untersucht. „Als 2011 ein Vorstandsmitglied der Bank Santander vom Obersten Gericht das Recht entzogen wurde, weiter im Bankgeschäft tätig zu sein, war dies El País eine Meldung mit sechs Zeilen wert. Würde so etwas bei der größten deutschen Bank passieren, wäre dies in Deutschland überall auf der 1“, ist sich Boye sicher.
„Alle großen Tageszeitungen, sind in den Händen der Banken und der Politik“, verweist Boye auf den Wechsel der Chefredaktionen bei den drei wichtigsten Tageszeitungen in den vergangenen Monaten. Nicht nur El País ersetzte den Chef durch einen Journalisten, der politisch der konservativen Regierung sehr nahe steht. Bei El Mundo musste Gründer Pedro J. Ramírez gehen. Der Druck von Regierung und Geldgebern war unerträglich geworden, nachdem das Blatt Korruptionsfälle aus dem Umfeld der regierenden Partido Popular und dem Königshaus veröffentlichte. Und bei der in Barcelona erscheinenden La Vanguardia wurde vermutlich auf Druck von König Juan Carlos der einstige Pressesprecher des Innenministeriums zum Chefredakteur. Sein Vorgänger hatte mit Sympathie über die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens berichten lassen. „Ein Richtungswechsel in der Berichterstattung ist nur dann möglich, wenn gleichzeitig langgediente, bekannte Journalisten entlassen und durch prekäre, junge KollegInnen ersetzt werden“, ist sich Boye sicher.
Und genau das ist allerorts geschehen. Diese Entlassenen – alleine bei El País waren es über 300 – stellen ein Teil der Gründer neuer Medien. Hinzu kommen junge Hochschulabgänger, die ihr Glück im eigenen Projekt suchen. Bei der Internetzeitung eldiario.es stammt ein Großteil der 26-köpfigen Belegschaft um Chefredakteur und Blogger Ignacio Escolar aus der 2012 geschlossenen einzigen linken Tageszeitung Spaniens, El Público. „Wir haben mittlerweile zwei bis drei Millionen Besucher pro Monat“, erklärt Escolar zufrieden. Damit liegt eldiario.es mit der spanischen Huffington Post, die zum Hause El País gehört, gleich auf. eldiario.es schreibt im zweiten Jahr bereits schwarze Zahlen. 70 Prozent der Einnahmen stammen aus Werbung, 30 Prozent von bezahlenden Premiumlesern, die für 5 Euro im Monat bereits abends lesen, was am nächsten Morgen kostenlos online steht.
„Wir erleben eine Repolitisierung der Gesellschaft“, erklärt Escolar. In Zeiten der Sozialkürzungen und zunehmendem Proteste steige das Interesse an einem anderen, mehr der sozialen Nachricht verpflichteten Journalismus. eldiaro.es berichtet über Zwangsräumungen, Sparpolitik, Polizeirepression, Einschränkungen der Bürgerrechte, Korruption, Flüchtlingsbewegungen an der Südgrenze, und hat dabei immer wieder exklusive Nachrichten.
Der Unternehmenssprecher der El País, Pedro Zuazua, will über die Gründe für den Erfolg der neuen Medien nicht spekulieren. „Diese Frage müssen diese selbst beantworten“, sagt er. Doch den Transfer an Lesern kann auch er nicht weg reden, auch wenn er einen Einfluss der Investoren auf El País bestreitet. „Wer hier einen aktivistischen, militanten, sektiererischen Journalismus sucht, wird diesen nicht finden. (…) Unsere Information entstehen im Interesse und zum Nutzen der Leser, und nicht im Dienste der einen oder anderen Ideologie“, zitiert er den so eben eingesetzten Chefredakteur Antonio Caño. Nur 42,9 Prozent der Redaktion unterstützte bei einer nichtverbindlichen Abstimmung die Ernennung des als Konservativen und die Leser laufen weiterhin scharenweise davon.