„Fotokopien von Fotokopien sind doch keine Beweise“, verlautet es seit Februar immer wieder aus der Zentrale der in Spanien regierenden Partido Popular (PP), wenn es um den Vorwurf der illegalen Parteienfinanzierung und persönlichen Bereicherung der PP-Führungsriege geht. Damals hatte die Tageszeitung El País Kopien einer minutiösen Buchführung über illegale Parteispenden und die Nutzung der Gelder veröffentlicht. Die Handschrift ist – so bestätigten es die Gutachter – die des ehemaligen Schatzmeisters der Konservativen Luis Bárcenas.
Seit gestern jetzt liegen der Justiz erste Originale vor. Eine anderer große spanische Zeitung, El Mundo, hatte sie erhalten, abfotografiert, veröffentlicht und weitergereicht. Die Zentrale der Partei von Regierungschef Mariano Rajoy leugnet weiterhin: „Die Partido Popular erkennt die Notizen und deren Inhalt in keinen Fall als das Kassenbuch der Organisation an“, heißt es in einem Kommuniqué. Doch hinter verschlossenen Türen dürfte es vorbei sein mit der Hoffnung, den größten Korruptionsskandal der spanischen Nach-Franco-Demokratie aussitzen zu können. Denn El Mundo kann nur eine Quelle für die Dokumente haben: Bárcenas selbst.
Der Mann, der in den letzten 20 Jahren die Kassen der PP verwaltete, sitzt seit knapp zwei Wochen in Untersuchungshaft. Auf Schweizer Konten wurden 48 Millionen Euro gefunden. Unter Druck beginnt er zu plaudern und das in aller Öffentlichkeit. „Vier Stunden mit Bárcenas“ titelte El Mundo am Sonntag.
Chefredakteur Pedro J. Ramírez, der einst mit seinem Enthüllungen nicht unerheblich zum Ende der Regierung von Felipe González beitrug, berichtete auf drei Seiten über ein Treffen mit Bárcenas kurz vor dessen Inhaftierung. „Das Geld wurde in Tüten, Aktentaschen und Koffern übergeben“, heißt es. Die Spenden stammten von Unternehmern. Danach wurden Vertreter der PP in Gemeinde-, Regional- und Zentralverwaltungen benachrichtigt: „Bei dir wird Der und Der anrufen. Ich will, dass Du ihn empfängst. Sei freundlich und trinke einen Kaffee mit ihm.“ Die Betroffen wussten, was zu tun war. Die Presse hat die Spendenlisten mit Aufträgen für Infrastruktur, Krankenhäusern, Privatisierungen abgeglichen und stieß immer wieder auf die gleichen Namen.
Das Schwarzgeld wurde zum Teil gestückelt und als vom Gesetz erlaubte anonyme Kleinspenden auf Parteikonten einbezahlt. Ein anderer Teil ging in die Wahlkampfkassen. Und hohe Parteifunktionäre wurden – so zeigen es die Dokumente – mit Umschlägen bedacht. Regierungschef Rajoy soll mindestens 1,6 Millionen Euro erhalten haben. Die Zahlungen gingen selbst dann noch weiter, als er unter José María Aznar verschiedenen Ministerien vorstand.
Parallel dazu unterhielt die PP ein Netzwerk befreundeter Unternehmer. Das von den Ermittlern „Gürtel“ getaufte Geflecht erhielt allerlei öffentliche Aufträge zu überhöhten Preisen und zeigte sich bei Parteifunktionären – bis hin zum damaligen Regierungschef Aznar – und der Parteizentrale erkenntlich. Auch diese Gelder flossen wohl über Bárcenas, der gegenüber El Mundo angekündigt hat, Dokumente zu haben, „die die Regierung stürzen können“.
Die Opposition verlangt, dass Regierungschef Rajoy endlich zu den Vorwürfen im Parlament Rede und Antwort steht.
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Meine Meinung
Mafia oder politische Partei
Die Vorwürfe wiegen schwer. 20 Jahre soll sich die in Spanien regierende Partido Popular (PP) mittels illegaler Parteispenden finanziert haben. Wer seinen Geldkoffer in der Madrider Zentrale abstellte, durfte sicher sein, dass er Aufträge in Gemeinden, Regionen und von der Zentralregierung bekam, sofern dort die Konservativen saßen. Der inhaftierte, ehemalige Schatzmeister der Partei Luis Bárcenas hat begonnen auszupacken und erzählte minutiös, wie die Schwarzgeldgeschäfte abgewickelt wurden. In alle den Jahren gehörte der heutige spanische Regierungschef Mariano Rajoy der Führungsriege der PP an. Er und andere hohe Parteifunktionäre sollen persönlich von den illegalen Parteispenden in Form von Zahlungen bar auf die Hand profitiert haben.
Noch behaupten Parteisprecher „alles Lüge“. Doch schon bald könnte Rajoy die gesamte Parteifinanz um die Ohren fliegen. Bárcenas droht mit weiteren Veröffentlichungen. Er ist der Dreh- und Angelpunkt zwischen Partei und dem Unternehmernetzwerk „Gürtel“. Dieses arbeitete eng mit Vertretern der PP, erhielt lukrative Aufträge und zeigte sich erkenntlich. Bisher tat dies die PP-Zentrale als Einzelfälle ab. Doch der Fall Bárcenas beweist, dass „Gürtel“ System hatte.
Selbst eine breite Mehrheit seiner eigenen Wähler glauben, dass Bárcenas im Auftrag der Parteispitze handelte und Rajoy eine Erklärung schuldig ist. Wenn nur ein Teil der Vorwürfe stimmt, gleich die PP mehr einer Mafia denn einer politischen Partei. Rajoy wird sich kaum mit einem Bauernopfer aus der Verantwortung stehlen können. Ein Rücktritt der gesamten Regierung und Neuwahlen wären der beste Weg, um zu verhindern, dass aus der Krise einer Partei die Krise eines gesamten politischen Systems wird.
Doch noch stellen sich Brüssel und Berlin hinter Rajoy, schließlich kürzt er Spanien ganz im Sinne der Banken aus dem Norden zusammen. Demokratie und demokratische Selbstreinigungsprozesse sind Fremdwörter im Europa der Finanzkrise.