© 2013 Reiner Wandler

Tunesien im Visier des Dschihad

Djebel_Chambi

Tunesien schaut gebannt auf die Region um Kasserine. Aus den Bergen rund um die Stadt im Landesinnere, die als eine der Wiegen der Revolution vom 14. Januar 2011 gilt, kommen Bilder, an die die Menschen nicht im kleinen Maghrebland nicht gewohnt sind. Hubschrauber überfliegen die Wälder und Berge nahe der algerischen Grenze. Sie werfen Bomben ab, die Armee verschießt Granaten, ganze Landstriche stehen in Flammen. Tunesien führt seit Wochen Krieg gegen bewaffnete, islamistische Gruppen, die sich in dem 60 Quadratkilometer großen Gebiet rund um den höchsten Berg des Landes, den Djebel Chambi (1544 m) verschanzt haben.

Es handle sich um Veteranen aus Mali, die nach dem Einsatz der französischen Armee Richtung Algerien und Tunesien geflohen seien, erklärte Innenminister Lotfi Ben Jeddou vor wenigen Tagen. Wochenlang hatte er geschwiegen, bis die Gerüchte aus der Grenzregion sich verdichteten und nationale und internationale News-Seiten im Netz die Auseinandersetzungen der Armee und Gendarmerie mit radikalen Bewaffneten bestätigen konnten. Rund 20 Kämpfer sollen sich in den Wäldern und Bergen verschanzt haben. „Sie stehen in Verbindung mit Al Qaida im islamischen Maghreb. Die Hälfte stammt aus Tunesien, die andere Hälfte aus Algerien“, berichtete der Minister weiter. Aus der Armee selbst kommen gar die Zahlen von über 50 Gruppenmitgliedern. Eine zweite Gruppe soll weiter nördlich in der Region Kef aktiv sein.

Die tunesische Armee tut sich schwer. Denn die Bewaffneten haben das Gebiet weiträumig vermint. Mindestens 16 Gendarme und Soldaten wurden bisher durch diese Sprengsätze verletzt – zwei von ihnen schwer. „Die Operation zur Beseitigung der Minen hat kaum Erfolg“, musste Verteidigungsminister Rachid Sabbagh eingestehen. Seine Truppen haben kein Spezialgerät zur Minenräumung. Sie versuchen mit Granatfeuer die Sprengsätze zu zerstören, um anschließend in die Wälder vorrücken zu können. „Die Armee bleibt vor Ort, bis die Terroristen ausgelöscht sind“, gibt sich Sabbagh dennoch selbstsicher.

Mindestens 45 Kämpfer und mutmaßliche Sympathisanten sollen in den letzten Wochen festgenommen worden sein. Zuletzt eine Gruppe von sechs Bewaffneten, unter ihnen sollen sich zwei Anführer befinden. Eine der Verhaftungen fand am Taxi-Bahnhof in Kasserine statt. Der Verdächtige habe sich als Frau verkleidet und eine Kalashnikov mit sich geführt.

Die Waffen der islamistischen Rebellen stammen vermutlich aus Libyen. Seit dem Sturz des dortigen Machthabers Muammar al-Gaddafi macht die tunesische Polizei immer wieder größere Lieferungen aus, die aus Libyen nach Tunesien geschmuggelt werden.

Die Sicherheitskräfte befürchten, dass die Gruppe in den Bergen über Sympathisanten und Zellen in anderen Landesteilen verfügt. Die salafistische Gruppe Ansar Al-Scharia, die offen für einen Gottesstaat Tunesien eintritt, verzeichnet seit der Revolution vor zwei Jahren immer mehr Zulauf. Auf Facebookseiten rufen sie ganz offen zur „Islamischen Revolution“ und verbreiten links zu Anleitungen zum Bombenbau. So mancher tunesische Salafist hat sich den Aufständischen in Syrien angeschlossen.

Die säkulare Opposition bezichtigt die Regierung aus sich gemäßigt gerne als gemäßigt bezeichnenden, islamistischen Ennahda und zwei kleineren Parteien der Untätigkeit. Die radikalen könnten sich frei in den Moscheen bewegen und ihre Propaganda betreiben, ohne das die Polizei eingreife. „Dank Ennahda haben wir nunmehr aktive Al-Qaida-Zellen in Tunesien, sie nutzen das für ihre Aktivitäten günstige Klima“, beschwert sich der ehemalige Chef der Übergangsregierung und Vorsitzende der Zentrumspartei Nida Tounes, Béji Caid Essebsi.

Am Wochenende veröffentlichte mehrere Zeitungen und Internetseiten eine Nachricht, die Ennahda ganz direkt mit den Vorfälle rund um den Djebel Chambi in Verbindung bringt. Einer der Anführer soll unmittelbar vor seiner Verhaftung mit dem Handy den stallvertretenden Ennahda-Chef und Abgeordnete aus Kasserine Walid Bennani angerufen haben./Foto: Wikimedia Commons

Was bisher geschah: