Nachbarn verhindern eine Zwangsräumung in Madrid
Spaniens Parlament nahm am Dienstag ein Volksbegehren gegen die Zwangsräumungen von Wohnungen mit keiner Gegenstimme und nur einer Enthaltung an. Der Gesetzentwurf, unter den verschiedene Bürgerinitiativen gegen Zwangsräumungen von Kreditschuldnern und die Gewerkschaften mehr als 1,4 Millionen Unterschriften gesammelt haben, sieht die sofortige Aussetzung aller Räumungsverfahren vor. Außerdem soll denjenigen, die ihre Wohnung bereits verloren haben, die Schulden erlassen werden. Bisher ist das nicht so. Wer auf Betreiben der Banken aus der Wohnung fliegt, muss dennoch die Differenz des Wohnungskredits und des aktuellen Marktpreises der beschlagnahmten Bleibe abbezahlen. Da die Wohnungspreise seit dem Platzen der Spekulationsblase ständig fallen sind dies oft Zehntausende von Euro.
Das Parlament wird jetzt in einer Sitzung über den Entwurf beraten. Ob er dann tatsächlich angenommen wird, ist ungewiss. Dennoch feierten Hunderte von Betroffenen und Unterstützer vor dem Parlamentsgebäude in Madrid die Abstimmung mit dem Ruf „Sí se puede!“ – das spanischsprachige Pendant zum us-amerikanischen „Yes we can!“
Es ist erst die vierte Volksinitiative für ein Gesetzentwurf, der in der Geschichte der spanischen Demokratie die Hürde ins Parlament nimmt. Eine weitere wurde ebenfalls gestern angenommen. Das Thema: „Den Stierkampf zum nationalen Kulturerbe ernennen.“
Die Volksinitiative für einen Gesetzentwurf (ILP) gegen die Zwangsräumungen wurde förmlich in letzter Minute zugelassen. Erst wenige Stunden vor der spätabendlichen Abstimmung hatte die regierende Partido Popular (PP) des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy ihre Meinung geändert. Eigentlich wollte sie gegen den Entwurf stimmen. Der Meinungsumschwung dürfte – auch wenn dies von PP-Sprechern geleugnet wird – nicht zuletzt mit einer schrecklich Nachricht zu tun haben, die wenige Stunden vor der Parlamentssitzung bekannt wurde. Auf der Urlaubsinsel Mallorca nahm sich ein Ehepaar – 67 und 68 Jahre – das Leben, als ihnen mitgeteilt wurde, dass der Gerichtsvollzieher sie in einer Woche aus ihrer Wohnung werfen wolle. Bereits am Sonntag Abend hatte im Baskenland ein 58-Jähriger aus dem gleichen Grund Selbstmord verübt. Insgesamt zählen die Initiativen gegen Zwangsräumungen 12 solcher Fälle. 2012 wurden in Spanien täglich 517 Räumungsverfahren eingeleitet.
„Wir sind zufrieden, die Mobilisierungen sind für etwas gut“, erklärt die Sprecherin der Initiativen, Ada Colau. „Doch das wichtigste haben wir noch vor uns. Wir müssen verhindern, dass der Gesetzentwurf entschärft wird.“ Die aufgeführten Punkte seien „Mindestanforderungen“ an das Parlament, sagt sie. Für Samstag ist in Madrid eine Großdemonstration zum Thema vorgesehen.
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Meine Meinung
„Ja, man kann!“
… lautet das Motto der Proteste gegen Wohnungszwangsräumungen. Und es stimmt. Seit nunmehr vier Jahren macht die „Bewegung der von den Hypotheken Betroffenen“ gegen die – neben der hohen Arbeitslosigkeit – wohl traurigste Auswirkung der Wirtschaftskrise mobil. Über 300.000 Familien wurden seit Beginn der Krise zwangsgeräumt oder stehen kurz davor, weil sie ihre Wohnungskredite nicht mehr abbezahlen können. In einem Land wie Spanien, in dem selbst in den Boomjahren der Sozialstaat stark zu wünschen übrig ließ, bedeutet dies die Straße, während die Banken mit Steuergeldern und Fonds aus Brüssel unterstützt werden. Gegen diese Schräglage in der spanischen Politik richtet sich das Volksbegehren, das am Dienstag auf Druck der Straße vom Parlament zur Debatte zugelassen werden musste.
Der Gesetzentwurf, versehen mit 1,4 Millionen Unterschriften, soll alle Räumungsklagen sofort stoppen. Er sieht außerdem einen Schuldenerlass für diejenigen vor, die ihre Wohnung bereits verloren haben. Denn anders als zum Beispiel in den USA verlieren die Schuldner in Spanien die Wohnung, doch ein beträchtlicher Teil der Schulden bleibt.
Die Initiativen werden weiter Druck ausüben, damit ihr Gesetzentwurf tatsächlich Gesetz wird. Bis der soziale Aderlass tatsächlich gestoppt werden kann, liegt noch ein langer Weg vor den Betroffenen und den Aktivisten.
Doch eines haben die Initiativen gegen die Zwangsräumungen zweifelsohne erreicht. Sie haben gezeigt, dass es sich lohnt auf die Straße zu gehen. Nichts ist zwangsläufig und zu jeder Politik gibt es Alternativen, auch wenn Madrid – unter dem Druck aus Brüssel und Berlin das Gegenteil beteuert.
Erstmals knickten die mit absoluter Mehrheit regierenden Konservativen ein. Sie mussten einsehen, dass der Wahlsieg nicht zu allem legitimiert. Und dass Volkes Stimme nicht nur alle vier Jahre an den Urnen ihren Ausdruck findet, sondern eben auch auf der Straße.
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