Chokri Belaid wurde am Freitag in Tunis beigesetzt. Unter dem Schutz der Armee, die erstmals seit den Tagen nach der Revolution im Januar 2011 wieder die großen Städte sicherte, gaben Tausende von Trauernden den Leichnam des am Mittwoch ermordeten linken, panarabistisischen Oppositionspolitiker das letzte Geleit. Der Trauerzug begann in Belaids Elternhaus im einfachen Stadtteil Jebal Jelloud im Süden von Tunis. Zuerst ging es zum Kulturhaus und von dort am frühen Nachmittag auf den Friedhof, wo Chokri Belaid in der Abteilung für nationale Märtyrer bestattet wurde. Der Sarg war mit einer tunesischen Fahne bedeckt.
Alles war wie bei einem Staatsbegräbnis, mit einer Ausnahme: Die Angehörigen und Freunde des Toten hatten die Politiker der regierenden Drei-Parteien-Koalition rund um die islamistische Ennahda ausdrücklich ausgeladen. „Politiker der Troika sind nicht erwünscht“, erklärte am Vorabend der Beerdigung Belaids Bruder Abdelmadjid. Die Opposition macht Ennahda-nahe Milizen für das tödliche Attentat verantwortlich.
Der Trauerzug, angeführt von Angehörigen und Anwaltskollegen des Toten in ihrer schwarzen Robe, bewegte sich langsam durch riesigen Menschenmengen gesäumte Straßen. Sie grüßten den Leichnam mit Rufen gegen die Regierung. Vier Oppositionsparteien, darunter das Linksbündnis Volksfront, das Belaid im Sommer 2012 mitbegründet hatte, riefen zum Generalstreik. Die mächtige tunesische Gewerkschaft UGTT mit ihren über 500.000 Mitgliedern hatte sich dem Aufruf angeschlossen. Geschäfte, Einkaufszentren, Cafés Schulen, Unis und viele Unternehmen blieben überall im Land geschlossen. Alle nationalen und internationalen Flüge wurden gestrichen. Noch während der Beisetzung kam es im Stadtzentrum von Tunis sowie in einigen Provinzhauptstädten zu Auseinandersetzungen ziwschen Demonstranten und Polizei.
Es war der erste ganztägige, landesweite Ausstand seit 1978. Am 14, Januar 2011 hatte ein zweistündiger Ausstand gereicht, um Diktator Ben Ali endgültig aus dem Amt zu jagen. Ein Generalstreik am 14. Dezember vergangenen Jahres wurde im letzten Augenblick abgesagt. Die UGTT versuchte stattdessen mit der Regierung über die angespannte Sicherheitslage des Lands zu beraten. Der Grund: Oppositionsparteien und die Gewaerkschaft wurden in den vergangenen Wochen immer wieder Zielscheibe von Übergriffen durch die sogenannte Liga zum Schutz der Revolution. Die Opposition machte diese Ennahda-nahe Milizen auch für den Mord an Belaid verantwortlich.
Generalstreik und Trauerzug zeigten, wie beliebt Belaid bei vielen seiner Landsleute war. Die Volksfront, der insgesamt zehn linke und nationalistische Parteien angehören, hat sich seit ihrer Gründung vor etwas mehr als einem halben Jahr erfolgreich als dritte Kraft nach den Islamisten von Ennahda und der ebenfalls neu neuenstandenen Zentrumspartei Nida Tounis etabliert. Erfolgreich wirbt die Volksfront um diejenigen, die mit Ennahda unzufrieden sind – sei es aus ideologischen Gründen, oder weil die Regierung bei der Lösung der sozialen Probleme völlig versagt, und die in Nida Tounis in der sich auch viele ehemalige Anhänger von Ben Alis Staatspartei RCD befinden, für unwählbar halten.
Zusammen mit dem Kommunisten Hamma Hammami war Chokri Belaid der bekannteste Politiker des Linksbündnisses. Beide machten sich bereits als Schüler und Student unter dem ersten Präsidenten des unabhängigen Tunesiens, Habib Bourguiba, den Ruf unbeugsamer Oppositioneller. Belaid verteidigte unter Ben Ali als Anwalt Menschenrechtler, Oppositionelle, Gewerkschafter und selbst Islamisten. Lebensläufe wie die von Belaid und Hammami sind keine Seltenheit auf Tunesiens Linke. Das verschafft der Volksfront breiten Zulauf aus Reihen der UGTT aber auch von jungen Menschen, die maßgeblich die Revolution gegen Ben Ali mitgetragen haben.
Die Volksfront legt bei Umfragen stetig zu. Rund zehn Prozent gaben Ende Dezember an, dem Linksbündnis die Stimme geben zu wollen. Die Volksfront könnte damit bei den nächsten Wahlen ausschlaggebend für die Bildung einer säkularen Regierung sein.
Doch bis es soweit ist, muss zuerst die neue Verfassung vom im Oktober 2011 aus den ersten freien Wahlen hervorgegangene Parlament ausgearbeitet werden. Dieses hatte dafür – laut einer Geschäftsordnung, der sogenannten Mini-Verfassung – eigentlich nur ein Jahr Zeit. Seit Dezember 2012 ist die Arbeit der Versammlung fast völlig zum Erliegen gekommen. Der für Ende Juni angestrebte Wahltermin wird so wohl kaum einzuhalten sein. Neben Rufen nach einer neuen Regierung werden in Oppositionskreisen immer mehr Stimmen laut, die die Wahl einer neuen Verfassungsgebenden Versammlung fordern. Die Islamisten an der Macht wollen weder das eine noch das andere. Denn die politische Landschaft hat sich stark zu ihren Ungunsten verändert.