© 2010 Reiner Wandler

ETA erhält die Note "Ungenügend"

Der Vorstand der Baskisch Nationalistischen Partei (PNV) brachte es schnell auf den Punkt: „Das ist nicht das, was die baskische Gesellschaft erwartet hat“, heißt es in einer Erklärung, nachdem der britische Fernsehsender BBC am Sonntag Mittag ein Video der baskische Separatistenorganisation öffentlich gemacht hatte, in dem von der „Entscheidung keine offensiven, bewaffneten Aktionen durchzuführen“ die Rede ist. Die Reaktionen aus Madrid sehen ähnlich aus. Für die Sprecher der wichtigsten Parteien ist die Erklärung „ungenügend“.

In dem Video, in dem drei Vermummten mit der ETA-Fahne sowie der Fahne des Baskenlandes zu sehen sind, fehle jegliche konkrete Aussage, lautet die Kritik vieler baskischer und spanischer Politiker. Nach einem langen Lobgesang auf den bewaffneten Kampf, in dem „ETA ein halbes Jahrhundert die Bürger gegen die brutale Strategie der Negierung und Vernichtung organisiert“ habe, erklären die Separatisten lediglich, sie hätten bereits vor mehreren Monaten „die offensiven Aktionen“ eingestellt. Doch ist weder davon die Rede, ob dies zu einem permanenten Waffenstillstand führen wird, oder ob ETA, deren Aktionen bisher weit über 800 Menschenleben zum Opfer gefallen sind, gar gewillt ist, die Waffen endgültig niederzulegen. Für ETA hat sich „der baskische Autonomieprozess erschöpft“, deshalb müsse jetzt „in einem demokratischen Prozess“ ein „dauerhafte, gerechte und demokratische Lösung für den jahrhundertealten, politischen Konflikt“ im Baskenland gesucht werden, heißt es stattdessen. ETA bietet der Regierung in Madrid Verhandlungen an.

„Wir können uns nicht darauf verlassen, deshalb wird die Regierung und das Innenministerium die Antiterrorpolitik aufrecht erhalten“, kündigte der Innenminister der sozialistischen Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero, Alfredo Pérez Rubalcaba, gestern an. Zu gut ist ihm der letzte Waffenstillstand von ETA aus dem Jahr 2006 in Erinnerung. Damals erklärte ETA eine „permanente Waffenruhe“. Madrid nahm Gespräche auf. Noch vor Ablauf eines Jahres kehrte ETA zu den Waffen zurück und sprengte ein Parkhaus des Madrider Flughafens Barajas. Zwei Menschen kamen dabei ums Leben. Bereits vor dem Video hatte Rubalcaba von ETA immer wieder die endgültige Auflösung verlangt.

„ETA setzt die Aktivitäten aus, weil die Organisation nicht mehr anders kann“, ist sich Rubalcaba sicher. Alleine in den ersten drei Monaten diesen Jahres wurden 32 ETA-Mitglieder verhaftet, unter ihnen die gesamte ETA-Führung. Seit 2008 fielen insgesamt sechs ETA-Führungen in die Hände der Polizei. Außerdem hob die Ermittler im benachbarten Portugal und im nordostspanischen Katalonien zwei wichtige Sprengstoffdepots und Bombenfabriken der baskischen Separatisten aus.

Seit mehr als einem Jahr hat ETA keine nennenswerten Attentate mehr verübt. Nur in Frankreich wurde ein Gendarm erschossen, als mehrere Separatisten versuchten in der Nähe von Paris PKWs zu stehlen. ETA erklärte später, es habe sich um einen Unfall gehandelt und nicht um ein vorbereitetes Attentat. „ETA stoppt jetzt die Aktivitäten, um sich wieder zu erholen. Da dürfen wir uns nichts vormachen“, resümmiert Rubalcaba.

Nicht nur die erfolgreicher Polizeiarbeit, sondern auch innere Widersprüche machen ETA zu schaffen. Im politischen Umfeld der bewaffneten Separatisten hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass mit dem bewaffneten Kampf nichts mehr zu erreichen sei. Die verbotene ETA-nahe Partei Batasuna verlangte von ETA immer wieder einen Waffenstillstand. Ähnlich wie einst in Nordirland müsse unter Abwesenheit jeglicher Gewalt nach einer Lösung gesucht werden.

Der politische Arm des baskischen Separatismus erhofft sich von einer dauerhaften Waffenruhe eine Wiederzulassung. Im kommenden Mai finden Kommunalwahlen statt. Batasuna, die vor dem Verbot 2003 regelmäßig weit über 10 Prozent der Stimmen erhielt, will dann wieder mit dabei sein. Selbst aus den Reihen der Veteranen unter den mehr als 700 Inhaftierten aus ETA und Umfeld werden Stimmen für ein Ende des bewaffneten Kampfes laut. ETA schloß mehrere Kritiker aus dem Gefangenenkollektiv aus.

Meine Meinung


Anfang vom Ende?

Das Sommerloch ist in Spanien seit Sonntag vorbei. Mit dem Video der baskischen Separatistenorganisation ETA, das der britische TV-Sender BBC ausstrahlte, ist der alte Konflikt um das Baskenland wieder auf dem Tisch. Und dies dürfte der Regierung in Madrid so einiges Kopfzerbrechen bereiten. In dem Video ist von einer Einstellung der „offensiven, bewaffneten Aktionen“ die Rede. Allerdings schweigen sich die Separatisten darüber aus, ob die Waffenruhe permanent oder gar das Vorspiel zu einer endgültigen Auflösung der Organisation ist.

Vorsicht und Fingerspitzengefühl sind jetzt gefragt. Spaniens Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero befindet sich in keiner leichten Situation. Durch das mangelhafte Management der Wirtschaftskrise hat der Sozialist, der in Minderheit regiert, alle Unterstützung im Parlament verloren. Noch weiß er nicht einmal, wie er den Haushalt für das kommende Jahr durch die beiden Kammern bringen will. Einziger möglicher Partner im Parlament ist ausgerechnet die Baskisch Nationalistische Partei (PNV), die bei den letzten Autonomiewahlen im Baskenland von Zapateros Sozialisten auf die Oppositionsbank verwiesen wurde.

ETA versucht die Schwäche Zapateros zu nutzen. Verhandelt er erfolgreich, könnte dies seine Umfragewerte wieder heben. Zapatero hat dies dringend nötig. Denn derzeit sieht alles danach aus, dass er nicht einmal die derzeitige Legislaturperiode überlebt. Doch Verhandlungen unter Erfolgszwang machen auch erpressbar.

Für die konservative Opposition der Partido Popular ist die Versuchung groß – wie bereits 2006 – einen radikalen Oppositionskurs gegen Zapatero zu fahren, falls er versuchen sollte sich den Separatisten anzunähern. Doch dies wäre falsch. Die Regierung braucht Rückenstärkung und Handlungsspielraum. Denn eine gespaltene Parteienlandschaft im demokratischen Lager würde ETA nutzen. Besonnenes, bedachtes und einheitliches Handeln aller demokratischen Kräfte ist in dieser Situation wichtig. Es geht nicht um Parteigezänke und Wahlvorteile. Es geht darum, dass das Baskenland endlich den langersehnten und verdienten Frieden findet.

Was bisher geschah: