© 2013 Reiner Wandler

Prall gefüllte Umschläge

 

„Lasst uns durch, wir sind gekommen um zu kassieren“, riefen die Menschen am Donnerstag Abend in vielen spanischen Städten. Sie hatten sich spontan vor den Parteilokalen der Partido Popular (PP) des Konservativen Mariano Rajoy versammelt, nachdem am morgen die größte Tageszeitung des Landes, El País, Dokumente veröffentlicht hatte, die der Beginn eines schweren Korruptionsskandals sein dürften. Es handelt sich um eine handschriftliche Buchführung mehrerer Jahre von Spenden an die PP und die Auszahlung von Zusatzgehältern an führende PPler vorbei am Finanzamt. Unter ihnen Regierungschef Mariano Rajoy, der mit über 25.000 Euro jährlich vermerkt ist. „Diebe, Diebe“ und „Rücktritt“ hallten die Sprechchöre durch das nächtliche Madrid, wo über 1.000 Demonstranten von einer weiträumigen Polizeisperre davon abgehalten wurden, vor das spanische PP-Hauptquartier zu ziehen.

Autor der parallelen Buchführung mit Schwarzgeldern ist, so sind sich Schriftexperten sicher, soweit eine Fotokopie eine Analyse zulässt, der ehemalige Kassenwart der PP, Luis Bárcenas. Gegen diesen wird seit vier Jahren wegen verschiedener Korruptionsfälle aus dem Umfeld der Konservativen ermittelt. Zuletzt fanden die Richter Konten mit 22 Millionen Euro in der Schweiz. Zehn Millionen Euro brachte Bárcenas während einer von der Regierung Rajoy erlassenen Steueramnestie erfolgreich nach Spanien zurück. Ob es sich um privat veruntreutes Geld handelt, oder um eine weitere Schwarzkasse der PP, müssen die Ermittlungen erbringen.
Insgesamt flossen von 1990 bis 2008 – so errechnet El País – 7,5 Millionen Euro durch die parallele Buchführung. Die Gelder stammten – auch darüber geben die Dokumente Auskunft – von zahlreichen Unternehmen. Die meisten stammen aus der Baubranche. Aber auch eine Lebensmittelkette ist darunter. Rund 70 Prozent der Spenden hätten von der PP nach damals gültigem Recht nie angenommen werden dürfen, da sie entweder den jährlich legalen Höchstbetrag von 60.000 Euro pro Spender überstiegen, oder weil sie von Unternehmen stammten, die für die Verwaltung arbeiteten.
Generalstaatsanwalt Eduardo Torres-Dulce erklärte in einem Fernsehauftritt am Donnerstag Abend, dass es genügend Hinweise auf Straftaten gäbe und er ein Verfahren eröffnen wolle. „Alle Personen, die unserer Ansicht nach etwas zur Untersuchung und Klärung der Wahrheit beitragen können, werden vorgeladen“, bekräftigte er. Dies gelte auch für Regierungschef Rajoy.
Dieser schweigt sich bisher aus. Rajoy rief für heute, Samstag, eine Sondersitzung des Parteivorstandes ein. Spaniens Presse erwartet, dass er danach zu den Dokumenten Stellung nimmt. Sollte er dies nicht tun, würde der Skandal den Besuch Rajoys bei Kanzlerin Merkel am Montag überschatten. Denn dort ist eine gemeinsame Pressekonferenz angesetzt. Die spanischen Medien würden die Gelegenheit wohl kaum auslassen, nach den Schwarzgeldern zu fragen.
Der ehemalige Schatzmeister Bárcenas leugnete in einem Kommuniqué die Schwarzgeldzahlungen ebenso, wie die Nummer 2 der PP, Dolores de Cospedal. „Es gibt nur eine einzige Buchführung der PP. Diese ist transparent, sauber und wird jedes Jahr vom Rechnungsprüfungsamt abgenommen“, erklärte sie. Nur kurz darauf musste Cospedal, die selbst zwei Zahlungen in Höhe von jeweils 7.500 Euro erhalten haben soll, eingestehen, dass einige Punkte auf den Dokumenten Tatsachen entsprechen. Denn mehrere PP-Mitglieder hatten bestätigt, dass sie die vermerkten Beträge als Kredite von der Partei erhalten hätten, diese aber zurückbezahlt hätten.
Während die sozialistische PSOE fordert, dass die Regierung im Parlament Stellung nimmt, verlangt die Vereinigte Linke den Rücktritt Rajoys und Neuwahlen. Hinter all dem sieht Cospedal eine Verschwörung gegen die Regierung und kündigte an, gegen El País vor Gericht zu ziehen. „Es überrascht schon, dass ausgerechnet jetzt, wo sich die Lage Spaniens verbessert, solche Informationen veröffentlicht werden“, erklärte Cospedal.
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Meine Meinung
Über die Verhältnisse gelebt
 
„Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt“, heißt es von Seiten der spanischen Regierung des konservativen Mariano Rajoy immer wieder, wenn die Schere am Sozialsystem angesetzt wird. Das klingt wie Hohn angesichts der nun aufgetauchten Dokumente. Denn diese zeigen, dass die Regierungspartei Partido Popular (PP) ihren Parteiführern jahrelang reiche Zusatzsaläre beschert hat. Das Geld, das aus illegalen Parteispenden stammte, wurde, so belegen es die jetzt veröffentlichten Dokumente, den Empfängern monatlich in Umschlägen zugesteckt. Auch Regierungschef Rajoy soll unter den Begünstigten sein. Über 25.000 Euro soll er jährlich unter der Hand und vorbei am Fiskus empfangen haben.
 
Die Spanier warten bisher vergeblich auf Erklärungen seitens der Regierung. Im Radio laufen immer wieder die Sätze, die Rajoy einst seinem ehemaligen Kassenwart Luis Bárcenas, der das System der Umschläge erfunden und umgesetzt haben soll, widmete. Von einem hochverdienten, unschuldigen Parteimitglied ist da die Rede. Das war vor vier Jahren, als die Richter ihre Ermittlungen gegen Bárcenas aufnahmen. Er ist in einem anderen großen Korruptionsskandal verwickelt, dem sogenannten Fall „Gürtel“. Millionen flossen über ein ausgefeiltes System illegal in die Kassen der PP und die Taschen von Parteifunktionären. Bárcenas selbst hat in der Schweiz 22 Millionen Euro geparkt.
 
Rajoy versucht, so scheint es, den Fall der Umschläge ebenso auszusitzen, wie er dies mit „Gürtel“ versucht. Dieses Verhalten Rajoys schadet Spanien. Das mühsam wieder errungene Vertrauen der EU und der Finanzmärkte ist zu zerbrechlich, als dass es Zweifel an der Ehrlichkeit des Regierungschefs, seiner engsten Vertrauten und der Partei als solche vertragen würde. Im Interesse Spaniens muss Rajoy, noch bevor er am Montag nach Berlin reist, und dort mit Kanzlerin Merkel vor die Presse tritt, zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Und sollten sie sich als wahr erweisen, muss er zurücktreten – aber nicht ohne zuvor Neuwahlen anzusetzen.

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