© 2011 Reiner Wandler

Jugend ohne Zukunft

In Tunesien und Algerien entlädt sich die Wut der jungen Menschen in einer spontane Revolte. Die Regierungen reagieren einmal mehr mit brutaler Repression.

Unruhen sind nichts neues in Nordafrika. Immer wieder kam es in den vergangenen Jahren zu Revolten auch wenn sie nie so breit waren wie dieses Mal. Ob die Jobvergabe in einem staatlichen Unternehmen im tunesischen Gafsa, die Identitätsfrage der algerischen Berber in der Kabylei oder der Abstieg eines Fußballvereins in die zweite Liga im westalgerischen Oran, alles bietet einen willkommenen Anlass gegen das verhasste System zu rebellieren. Eine tiefe Frustration macht sich Luft.

In Tunesien regiert Präsident Zine El Abidine Ben Ali seit 1987 mit eiserner Hand. Jedwede Alternative wird verfolgt. In Algerien wechseln zwar die Gesichter, doch die Kraft im Hintergrund ist und bleibt die Armee. Auf wen sie setzt, gewinnt. Zur Not mit einem tiefen Griff in die Urnen.

Diese Starre ohne Aussicht auf Veränderung und ohne persönliche Zukunftsperspektive bekommt besonders die Jugend zu spüren. Gegen die „Hogra“ – die Missachtung durch die Mächtigen – gehen die Algerier auf die Straße. Für „die Wiedererlangung der Würde“ die Tunesier. Die Unter-35-Jährigen stellen mehr als zwei Drittel der Bevölkerung.

Das Bildungssystem wurde ausgebaut. Der Arbeitsmarkt hält allerdings nicht mit. Wer keine Beziehungen hat, oder nicht die Richtigen besticht, findet nur schwer einen Job. Und der Weg nach Europa, der traditionell als Ventil diente, ist durch die rigide EU-Einwanderungspolitik versperrt.

Auch um die kleinen Fluchten der Jugend ist es schlecht bestellt. Vor allem in Algerien ist die Gesellschaft strengen moralischen Regeln unterworfen. Die Aufbruchstimmung nach der Unabhängigkeit währte nicht lange. Je mehr das Einparteienregime unter Druck kam, um so mehr nutzte es die vermeintlich arabisch-islamische Identität, um ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schmieden. Die Islamisten machten sich in den 80ern an den Universitäten breit. Das Regime ließ sie gewähren, drängten sie doch den Einfluss der Linken zurück. Nach dem Zusammenbruch des Regimes, der 1988 ebenfalls durch eine gewaltsamen Jugendrevolte eingeleitet wurde, begann der Siegeszug der Islamisten in Form der Islamischen Heilfront (FIS). Sie gewann die ersten freien Wahlen, nicht zuletzt dank der Unterstützung der frustrierten Jugend. Die Armee brach die Wahlen ab. Das Land versank in einem blutigen Bürgerkrieg, der 200.000 Menschen das Leben kostete, darunter viele junge Männer, die den Weg in den Untergrund gegangen waren.

Nur langsam befreit sich die Jugend aus den Klauen der Religion. Der Soundtrack der heutigen Revolte ist Rap und Hipp-Hopp aus eigener Produktion. Das Leben findet zwischen Langeweile und Internet statt.

Im Schatten der Entwicklung in Algerien unterdrückte Tunesiens Präsident Ben Ali jedwede soziale Unzufriedenheit und verhinderte so den Zusammenbruch seines Regimes. Tausende Oppositionelle wurden verhaftet oder mussten ins Exil gehen. Tunesien ist heute ein Überwachungsstaat, der seinesgleichen sucht. Rund 130.000 Polizisten soll es in dem 10 Millionen Einwohner zählenden Land geben. Selbst Internet und die Rapperszene werden kontrolliert.

Europa unterstützt die Regimes als vermeintliche Garanten für Stabilität. Ohne die doch so einfache Lehre zu ziehen: Solange es keine politische Kanäle gibt, um dem Unmut Luft zu machen, werden Algerien und Tunesien immer wieder in Gewalt versinken. Wer Besserung verspricht, wird gehört werden, egal ob mit dem Koran in der Hand oder Rap auf dem Mp3-Player.

Was bisher geschah: